LICHT IN DER DUNKELHEIT
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. … Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede- Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich … von nun an bis in Ewigkeit.
Liebe Brüder und Schwestern!
„Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf!“ Jahr für Jahr hören wir diese Worte in der Heiligen Nacht. – Worte des Propheten Jesaja, hineingesprochen in eine schlimmen Zeit.
Die Assyrer hatten den ganzen Norden Israels erobert und Samaria zer- stört. In Jerusalem ging die Angst um vor dem was war und vielleicht noch mehr vor dem, was kommen könnte.
Die Menschen hatten damals genau dieses Gefühl, das auch uns seit Wo- chen und Monaten umtreibt: Ja, wir leben in finsteren Zeiten. In der neuen Übersetzung der Bibel heißt es gar: „Sie leben im Land des Todes- schatten.“
In solche Dunkelheit, in solche Hoffnungslosigkeit hinein spricht der Prophet. Er spricht vom Licht, das plötzlich in dieses Dunkel fällt. „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht!“
Jesaja knüpft an an das große Schöpfungslied am Anfang der Bibel, dass wir immer in der Osternacht hören: „Die Erde war wüst und leer“, heißt es da – und in diese fürchterliche Dunkelheit hinein hören wir: „Und Gott sprach: Es werde Licht!“ (Gen 1).
Licht – hinein in das Dunkel der Welt! So wird das Schöpfungshandeln Gottes umschrieben. So hat es angefangen und – so heißt es immer wieder in der Bibel.
Ja – Gott selber gibt sein Licht in die Dunkelheiten dieser Welt. Immer wieder!
Das ist eigentlich verrückt: In den folgenden Jahrhunderten erlebte man in Israel weiterhin schlimme, schlimme Zeiten. Es wurde nichts besser. Da war die Verschleppung ins Exil nach Babylon, später nach der Heim- kehr die Schreckensherrschaft der Perser, dann das Joch der Griechen. Später die Unterdrückung durch die Römer.
Und dennoch: In all diesen dunklen Zeiten hat man diese Propheten- worte immer neu gehört, gelesen, hat sie weitergegeben und sich daran festgehalten: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht!“ – Diese Worte wurden zum Zeugnis einer Hoffnung, die sich nicht klein- kriegen lässt, einer Hoffnung, die lebendig geblieben ist. – Bis heute!
Diese Situation der Angst hat sich nicht verändert. Im Grunde ist sie nie weg gewesen. Die Angst bleibt. Die Angst vor Anschlägen, vor einer neuen Weltwirtschaftskrise, vor Corona, vor Mord und Totschlag – vom Tod eines geliebten Menschen, des Ehemanns, Vaters, Seelsorgers … Es ist immer diese Angst vor den Dunkelheiten dieser Welt – und im eigenen Leben.
Und natürlich stellt sich uns die Frage: Haben nicht doch die recht, die sagen: Schmink dir deinen Glauben ab. Die Welt ist absurd und sinnlos. Wo ist denn etwas von Gott zu spüren? Wieso geschehen immer wieder Verbrechen, Krieg, Krankheit – Tod?
Diese Fragen bleiben und haben ihre Berechtigung. Und sie setzen uns zu. Auch uns Glaubenden; auch heute, vielen von uns wohl auch hier und jetzt.
Diese Fragen – sie lassen sich nicht vom Tisch wischen. Und sie lassen sich schon gar nicht einfach beantworten. Wenn Gott existiert, wenn er Liebe ist, sich uns zuwendet, warum dann soviel Leid? Das Böse? Die Gemeinheit der anderen? Das Böse in uns selber? Das Zerbrechen von Beziehungen und Menschenleben? Die Schrecken des Krieges? Krankheit und Tod?
Es gibt keine Rezepte auf solche Fragen. – Es wird keine Antworten geben für unseren Verstand auf die Frage nach dem Warum von Leid und Dunkelheit in der Welt.
Alles, liebe Brüder und Schwestern, kommt daher darauf an, ob wir uns von diesem Hoffnungswort berühren lassen vom Licht, das in die Dun- kelheit geschenkt ist.
Ob es auf etwas in uns trifft, dessen tiefen Wahrheit wir vertrauen, vielleicht manchmal mehr ahnen als wissen, mehr spüren, als formulieren können.
Es ist eine Hoffnung, die uns verweist auf eine Wahrheit im Dennoch. Dennoch: Trotz all der Dunkelheiten, die wir kennen und erfahren – es gibt eine Wahrheit dahinter. Vielleicht ahnen wir, dass wir nicht alles erkennen, nicht alle Zusammenhänge verstehen.
Was weiß ein Fisch im Aquarium vom Weihnachtsoratorium? Was weiß der Mensch von Gott und von dem, welcher Sinn hinter allem steht? Wir werden mit unserem Verstand immer wieder an Fragen stoßen, die offen bleiben und für die wir keine Antworten formulieren können.
Die Bibel lässt diese Fragen offen. Sie gibt uns jedenfalls keine Antworten allein für unseren Verstand. – Und trotzdem bleibt dieses Hoffnungsbuch nicht bei den Fragen stehen.
Und mitten hinein in dieses Dunkelheit hören wir heute noch einmal die Botschaft von Weihnachten – die Botschaft von dem Kind, das in diese leiderfüllte Welt hinein geboren wird und Hoffnung bringt: „Euch ist heute der Heiland geboren!“
Damit sind nicht nur die Menschen in Israel und Palästina gemeint, gleich, ob sie zu Zeiten des Jesaja oder um die Zeitenwende Gottes gelebt haben. – Das ist eine Botschaft auch für uns heute, für dich und mich!
Die Bibel spricht davon, dass Gottes Wahrheit in dieser Welt zu finden ist. JA, die Bibel erzählt diese Geschichten, damit uns ein LICHT aufgeht. Wenn es am dunkelsten ist, wenn das Dunkel dieser Welt undurchschaubar ist, im wahrsten Sinn des Wortes, dann ist Gott gegenwärtig. Er steigt herab. Er lässt sich herab: „Er wird niedrig und gering“.
Wir werden unser ganzes Leben dieses Geheimnis nicht begreifen, und wir werden manchmal müde sein, unser Glaube kann brüchig sein, wir werden vielleicht auch an unseren Fragen stolpern.
Und dennoch: Die Feier der Weihnacht, der Christgeburt des Erlösers ruft uns zu: Werft euren Glauben nicht weg! Die Mitte der Nacht ist der Anfang des neuen Tages. – Das, liebe Brüder und Schwestern, ist die Weihnachtsbotschaft.
„Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht!“ – Und „Euch ist heute der Heiland geboren: Christus, der Herr!“ – Das, nur das ist heute der Grund unserer Freude!
Amen.
Pastor Michael Bracht
Dezember 2024
Der PREDIGTDIENST wird herausgegeben vom Pfarramt der Kirchengemeinde
Sankt Petri Wuppertal.
Wichtiger Hinweis: Es wird hier das Manuskript wiedergegeben. Es gilt
jedoch das gesprochenen Wort!