Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.
Liebe Gemeinde,
wer in unserem neuen Gesangbuch alle Osterlieder nacheinander durchsingt, darf 243-mal Halleluja singen. 243-mal! (Ihr dürft das gern überprüfen, aber bitte erst nach der Predigt!)
243-mal Halleluja. Das ist natürlich kein Zufall. Ostern ist ja das Freudenfest der Kirche schlechthin. Da stimmen wir ein in eine lange Tradition, Gott zu loben und zu preisen. Und wir haben allen Grund dazu: In seiner Auferstehung hat Jesus Christus dem Tod die Macht genommen und uns ewiges Leben geschenkt. Er ist vom Tode auferstanden, wir werden ebenfalls auferstehen. Das ist Grund zur Freude! Halleluja!
Vielleicht ist es euch aufgefallen, aber in der Evangeliumslesung für das heutige Osterfest, da ist von Freude und von Jubel gar nichts zu hören. Kein Halleluja, kein Loben, kein Preisen. Nur Zittern und Entsetzen, Sorge, Angst, ja sogar Flucht. Nichts wie weg hier!
Tatsächlich: Was der Engel dort verkündet, das ist zum Entsetzen – weil es unbegreiflich ist. Weil man das nicht nebenbei einfach so abhaken kann. Auferstehung eines Toten? Im Griechischen steht in diesem Zusammenhang das Wort „Ekstase“. Und das im negativen Sinne: Die Frauen, die da wegrennen, geraten in Ekstase. Sie haben nicht mehr die Gewalt über ihre eigenen Sinne.
Blicken wir noch einmal zurück: Drei Frauen sind es: Maria Magdalena, die Mutter des Jakobus, und Salome. Sie sind bemüht, dem schrecklichen Geschehen vom Karfreitag einen würdigen und pietätvollen Abschluss zu geben. Sie hatten zugesehen, wie Josef von Arimathäa Jesus vom Kreuz abgenommen und ihn in sein eigenes Grab gelegt hatte. Zum Salben war danach keine Zeit mehr gewesen, weil der Sabbath im Anbruch war. Aber heute, am Tag nach dem Sabbath, heute kommen sie endlich dazu, dem Verstorbenen ihre Ehre zu erweisen.
Aber: Über ihrem Vorhaben liegt eine schwere Niedergeschlagenheit. Mit hängenden Köpfen sind sie unterwegs zum Grab. Es ist der Herr, ihr Herr, der da gestorben ist! Und damit ist ihre ganze Hoffnung zerstört. Sie sind gefangen im Schatten des Todes. Ja, sie rechnen mit der Endgültigkeit des Todes. Wie so viele Menschen in unseren Tagen auch.
Ich darf als Pastor bei Beerdigungen in der Regel hinterher am Grab stehen bleiben. Das ist eine schöne Geste und soll als Zeichen dafür dienen, dass der Trost des Evangeliums beständig bleibt. Und so stehe ich auch gern dort und schaue mir die Menschen an, die nach und nach dem Verstorbenen die letzte Ehre erweisen.
Nun kann ich natürlich nicht in die Herzen derer schauen, die sich dort ehrfurchtsvoll hinstellen, und ein wenig Erde und ein paar Blumen ins Grab werfen. Aber ich kann hinhören, wie sie alles so sagen. Wie oft höre ich nicht: „Tschüß, mein Lieber! Es war schön mit dir.“ Oder: „Danke für alles.“ „Wir werden dich vermissen.“
Es ist eine gewisse Endgültigkeit zu spüren. Ein: „Das war’s!“ Und ich muss gestehen: ich kann’s verstehen!
Im Angesicht des Todes, da fällt es schwer, den Glauben an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben im Blick zu behalten. Ich kann es verstehen, dass man dort steht und gewissermaßen einen Strich zieht. Das man keine Hoffnung hat, dass das Blatt sich dennoch wenden kann und auch wird.
Die Botschaft des Engels: „Er ist nicht hier, er ist auferstanden!“, die passt nicht in diese Welt. Aber sie wird trotzdem verkündigt, auch gegen alle Glaubensschwäche. Der Engel bleibt dabei, weil er in dieser Stunde und an diesem Ort nichts anderes zu sagen hat: Der Herr ist auferstanden! Der Tod ist besiegt! Die schreckliche und allgegenwärtige Endgültigkeit des Todes hat Jesus Christus durchbrochen! Wohlgemerkt: Durchbrochen, nicht einfach aufgeschoben. Jesus ist nicht einfach in dieses Leben „zurückgestorben“, um dann den gleichen Weg noch einmal vor sich zu haben. Nein, das Grab ist leer und bleibt auch leer. Egal, was der moderne, aufgeklärte Mensch dazu sagt. Egal, was so manch ein Theologe der heutigen Zeit für Gegensätzliches behauptet. Egal, was die Mehrheit der Menschen in diesem Land glauben. Das Grab ist leer und es bleibt auch leer.
Neulich auf dem Friedhof, es war kalt und nass, kam eine alte Dame mit Rollator ans Grab. Sie hatte ziemlich lange warten müssen, nun war sie endlich dran. Sie wirft eine Blume hinein, und sagt zu ihrer Freundin, die wir da beerdigt hatten: „Wir sehen uns wieder! Ich freu mich drauf!“ Es hat mich sehr bewegt. „Wir sehen uns wieder!“ Der Tod hat nicht das letzte Wort! Christen sehen sich nie zum letzten Mal! Wir werden uns im Himmel wieder sehen. Diese alte Dame hat das begriffen.
Aber, dass es schwer ist, das zu glauben und diese Hoffnung zu haben, das kann ich verstehen. Und es tröstet mich, dass die Frauen am Grabe, Maria Magdalena, die Mutter des Jakobus, und Salome, dass diese drei auch ihre Zeit brauchten. Das auch sie sich schwertaten mit dem Gedanken an die Auferstehung der Toten. Das auch dort erstmal kein Halleluja zu hören war.
Es dauert noch, bis sie ins Halleluja einstimmen werden. Aber sie haben die Botschaft gehört. Der Ruf zur Freude hat sie erreicht. Das verbindet uns mit ihnen. Der Herr schenke uns, dass unsere Herzen gegen alle Widerstände überwunden werden und wir einstimmen können in die große Freude, die alles überstrahlt! Auch und gerade im Angesicht des Todes. 243-mal Halleluja!
Amen.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Pastor Roland C. Johannes
April 2023