Herr Jesu Christ, du hast bereit
Für unsre matten Seelen
Dein Leib und Blut zur Festmahlzeit,
Tust uns zu Gästen wählen;
Wir tragen unsre Sündenlast
Drum kommen wir zu dir zu Gast
Und suchen Rath und Hilfe.
Liebe Gemeinde,
ich war vor einigen Jahren in Worms. Der Ort, an dem bekanntlich im Jahre 1521 der berühmte Reichstag stattgefunden hat, an dem Martin Luther verhört wurde. Unweit vom Dom, auf einer Wiese, liegt ein Stein, auf dem steht: „Hier stand vor Kaiser und Reich Martin Luther 1521.“
Es ist der Ort, an dem Luther sich geweigert hatte, seine Lehre zu widerrufen. Es ist der Ort, an dem er die berühmten Worte gesagt haben soll: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir.“ Der Raum, in dem die Sitzung stattgefunden hat, den gibt es nicht mehr. Aber der genaue Ort, wo er gestanden hat, den hat man mit diesem Gedenkstein festgehalten.
Man nennt dies eine „Lokal Ätiologie“, eine Erzählung, die an einen ganz bestimmten Ort geknüpft ist.
In Jerusalem gibt es eine sehr viel ehrwürdigere Ätiologie. Eine Ätiologie, die an Jesus Christus erinnert! In Jerusalem kann man den Abendmahlssaal sehen, das sogenannte „Coenaculum“. Der Ort, wo das Abendmahl von Christus gestiftet worden sein soll. Hier, in diesem Obergemach war es gewesen, dass unser Herr und Erlöser das Abendmahl eingesetzt hat, so erzählt man sich in Jerusalem.
Warum ich das hier erzähle? Ihr Lieben, unser Glaube braucht solche Konkretionen. Was wir predigen, war nicht irgendwie und irgendwo, sondern es war sehr konkret! Glaube ist eben nicht nur geistig, sondern er ist auch sehr konkret!
So ist es auch mit dem Heiligen Abendmahl. Was wir im Abendmahl empfangen, ist nicht nur geistig, sondern sehr konkret. Nach der einmütigen Überlieferung der ersten drei Evangelien, feiert Jesus mit seinen Jüngern das Passahfest. Dazu schickt er sie mit folgenden Worten los: „Geht hin in die Stadt zu einem und sprecht zu ihm: Der Meister lässt dir sagen: Meine Zeit ist nahe; ich will bei dir das Passamahl halten mit meinen Jüngern.“
Der „eine“ war dann auch sofort bereit, den Raum zur Verfügung zu stellen. Sei es, dass das damals so üblich war, Räume für die Passahfeier zu vergeben, oder sei es, dass Jesus sein Herz dazu bewegt hat.
Und während dieser Passahfeier, bei der in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten ein Lamm gebraten und gemeinsam verzehrt wurde, tut Jesus gegen Ende der Feier etwas vollkommen Neues. Matthäus, Markus und Lukas berichten übereinstimmend: „Als sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.“
Jesus stiftet ein Essen, das an seinen Opfertod erinnert. Viel mehr noch: er sagt vom Brot: „Das ist mein Leib“ und vom Wein: „Das ist mein Blut.“
Ja, es geht dabei auch um Erinnerung und Gedächtnis. Aber es geht eben noch viel mehr um Konkretion: Um Vergegenwärtigung des einmal geopferten Christus in seinem Leib und seinem Blut. Das ist mein Leib, das ist mein Blut. Ganz konkret.
Unser lutherisches Bekenntnis formuliert das in der Konkordienformel Artikel 7 so: Wir glauben, „das im Abendmahl des Herrn Leib und Blut Christi wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig sind und mit den sichtbaren Elementen Brot und Wein wahrhaftig gereicht werden denen, die das Sakrament empfangen.“
Martin Luther hat um diesen konkreten Abendmahlsglauben gekämpft und dem Druck der Fürsten und der reformierten Theologen (die das Abendmahl nur symbolisch verstanden und die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl leugneten) nicht nachgegeben. Paul Gerhard hat für diesen Glauben Haus und Einkommen in Berlin verlassen und musste in die sächsische Provinz ziehen. Die Mütter und Väter unserer Kirche haben vor 200 Jahren dem Druck der Preußen nicht nachgegeben und haben teilweise Haus und Hof für ihren lutherischen Glauben verlassen. Ja die Gründer unserer Martini-Gemeinde haben die Landeskirche verlassen und haben sich selbständig gemacht, weil ihnen dieser Glaube, diese Konkretion, so wichtig war.
Du magst jetzt fragen, warum dieser konkrete Abendmahlsglaube so wichtig ist? Ist das wirklich Grund genug, Haus und Hof zu verlassen, ja Kirchentrennung auf sich zu nehmen? Oder sind das nur theologische Spitzfindigkeiten? Ist das überhaupt noch zeitgemäß? Sollten wir das nicht viel lieber lassen?
Ich will euch dazu ein Beispiel aus der Medizin geben:
In der Medizin kennt man seit einiger Zeit den sogenannten „Placeboeffekt“. Als Placeboeffekt bezeichnet man in der Medizin das Auftreten einer therapeutischen Wirkung durch die Gabe von Tabletten ohne Wirkstoff – also Placebos – oder von sogenannten Scheinbehandlungen. Die Patienten wissen dabei nicht, dass sie kein echtes Medikament einnehmen. Und tatsächlich: Solche „wirkstoffreien“ Medikamente setzen offenbar ganz erstaunliche Selbstheilungskräfte im Menschen frei.
Aber: Kaum ein Mensch käme nun auf den Gedanken, fortan bei allen Medikamenten auf den Wirkstoff zu verzichten! Im Jahr 2018 hat es einen Skandal gegeben, wo die Wirkstoffmenge in Krebsmedikamenten verdünnt wurde (um Geld zu sparen) und Krebspatienten dadurch extrem gefährdet wurden. Ein Krebspatient braucht keine symbolische Medizin, sondern wirkliche Medizin.
Man hat das Abendmahl in der Alten Kirche auch „Pharmakon Athanasias“ genannt: „Medikament der Unsterblichkeit.“ Wir sind aufgrund der Sünde am ewigen Tod erkrankt. Wir brauchen kein symbolisches Abendmahl, sondern eins mit Wirkstoff, mit Leib und Blut Christi.
Warum das so wichtig ist? Wenn du keine Kraft mehr hast zu glauben, dann hilft dieses „Pharmakon Athanasias“ trotzdem! Wenn du verzweifelt und traurig bist, dann hilft dieses „Pharmakon Athanasias“ über alles Verstehen hinaus! Nicht du musst dich anstrengen und glauben, um die Wirkung zu haben, sondern Jesus Christus hat mit seinem Opfer am Kreuz alles getan.
Warum wir als Bekenntnislutheraner an dieser Stelle so hartnäckig, ja fast stur sind – frei nach dem Motto: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“? Weil wir wissen, was dieses „Pharmakon Athanasias“ für ein großer und herrlicher Schatz ist. Und hier an diesem Altar, an diesem ganz konkreten Ort, hast du Teil daran. „Das stärke und erhalte dich im wahren Glauben zum ewigen Leben.“ Ganz konkret.
Amen.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Nach einer Predigt von Bischof Hans-Jörg Voigt.
Pastor Roland C. Johannes
April 2023