Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
Liebe Gemeinde,
ich möchte euch heute Abend entführen, nach Hamburg in die Elbphilharmonie. Dort sitzen wir im großen Saal – ein Saal, der seinesgleichen sucht! Mit einer herausragenden Akustik – Musik noch deutlicher und noch klarer hören, das kann man nirgendwo sonst.
Soeben erklang das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Alle 6 Kantaten – zweieinhalb Stunden himmlische Musik, erstklassig dargeboten! Grad ist der Schlusschor zu Ende, mit der herrlichen Solotrompete:
Nun seid ihr wohl gerochen
An eurer Feinde Schar,
Denn Christus hat zerbrochen,
Was euch zuwider war.
Tod, Teufel, Sünd und Hölle
Sind ganz und gar geschwächt;
Bei Gott hat seine Stelle
Das menschliche Geschlecht.
Der Schlussakkord ist verklungen, der Dirigent winkt ab, er hat die Arme noch oben. Der Klang hallt noch durch den Raum. Ein magischer Moment. Als Musiker kann ich bezeugen, dass das einfach unbeschreiblich ist, dieser Moment, in dem die Musik bereits beendet ist, der Klang aber noch in der Luft hängt, die Spannung noch da ist.
Doch dieser Moment lässt sich nicht festhalten. Die Zeit bleibt nicht stehen. Die Spannung löst sich, der Dirigent lässt die Arme fallen. Und wenige Sekunden später tosender Applaus.
Dieser Moment des Nachklingens, der Verharrens, wenn die Zeit scheinbar stehen bleibt, zwischen Schlussakkord und einsetzendem Applaus; dieser Moment, in dem die Schwingungen noch in der Luft liegen – darum geht es hier.
Die Hirten befinden sich nicht in der schicken Elbphilharmonie, sondern draußen auf dem Felde vor Bethlehem. Aber sie haben soeben ein himmlisches Konzert gehört, noch schöner und prächtiger, als es jemals in der Elbphilharmonie und sonst wo auf dieser Erde zu hören wäre. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Es muss herrlich gewesen sein. Aber auch dort erklingt irgendwann der Schlussakkord, und es ist, als blieben Klang und Worte noch in der Luft stehen. Mit dem Rezitativ „Ich verkündige euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren“ und mit dem Choral: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“
Und was kommt dann? Applaus etwa?
Nein, ihr Lieben, kein Applaus dieser Welt sollte diesen Klängen, sollte dieser Spannung ein Ende setzen. Was damals dort seinen Anfang nahm, vor den Toren Bethlehems, das klingt weiter! Auch in unserer Zeit und Welt. Weiter und weiter soll die Welt von diesem Klang durchdrungen werden. Weiter und weiter soll diese Botschaft erschallen!
Und das, obwohl rein physikalisch betrachtet, diese Kunde tatsächlich verklungen ist. So, wie die Engel in Bethlehem wieder gen Himmel gefahren sind. (Eine Szene, das sei am Rande bemerkt, die Georg Friedrich Händel so wunderbar in seinem „Messias“ auskomponiert hat.)
Die Musik ist aus, die Engel sind weg. Wie kann das sein, dass dieser Chor weiterklingt? Dass diese Musik nicht aufhört? Ihr Lieben, der Nachhall geht weiter, weil die Hirten nach dieser prächtigen Darbietung nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Der Nachhall geht weiter, weil die Hirten sich aufmachen! Lasst uns nun gehen nach Bethlehem! Der Gesang der Engel bringt sie in Bewegung! Da gibt es kein Halten mehr: Nichts wie hin nach Bethlehem! Wenn nun der Heiland da ist – unser Heiland, der uns heute geboren ist – dann wollen wir ihn auch sehen!
Und dann: Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Der himmlische Gesang geht weiter. Und 2000 Jahre später sind wir diejenigen, die das Lied weitersingen! Sind wir diejenigen, die das Wort ausbreiten, die Frieden verkünden, die Gottes Liebe für diese Welt weitergeben. Wir befinden uns quasi immer noch in diesem einen, spannenden Moment!
Es ist Weihnachten, liebe Gemeinde. Das Stück verklingt, doch der Klang bleibt. Die Schwingungen sind da. Der spannenden Moment, er soll nicht aufhören. Und wenn wir im Bild des Konzertes bleiben: Erst wenn der Schlussakkord für diese Welt gekommen ist (und er wird kommen, unweigerlich) – dann erst wird himmlischer Applaus aufbranden.
Jetzt aber und heute und morgen und für unsere Zeit und Welt gilt das, was schon bei den Hirten auf dem Feld galt, und was sie zur Krippe brachte: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Amen.
Der Friede Gottes, welches höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Pastor Roland C. Johannes
Dezember 2022