Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben; Gott hilft ihr früh am Morgen. Die Völker müssen verzagen und die Königreiche fallen, das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt. Der HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz. Kommt her und schauet die Werke des HERRN, der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet, der den Kriegen ein Ende macht in aller Welt, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt. 11. Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin! Ich will mich erheben unter den Völkern, ich will mich erheben auf Erden. Der HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz.
Liebe Gemeinde,
eingeschlossen in einer belagerten Stadt: das muss schrecklich sein! Mein Großvater hat von solch einer Situation im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront berichtet. Er berichtete von Hunger, von der fehlenden medizinischen Versorgung, von Verzweiflung, Angst und Ohnmacht. Aber vor allem berichtete er immer wieder vom Durst. Vom fürchterlichen Durst. Es gab in der Stadt wohl kein Wasser mehr, und der Fluss, der lag in Feindeshand. Wohl dem, der so etwas nicht erleben muss, waren immer wieder seine Worte.
Es sieht ganz danach aus, als sei der Psalm, den wir eben gehört haben, in genau solch einer Lage entstanden. Bei einer Belagerung der Stadt Jerusalem. Weltuntergangsstimmung herrscht. Kann man wirklich noch hoffen, dass die Stadt festbleibt? Das sie das aushält? Sind die Feinde nicht zu übermächtig?
Da kommt nun einer und singt ein Lied von der Macht Gottes, der unsere Zuflucht ist. Gott ist „eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.“ Ja, selbst wenn die Welt untergeht und die Berge ins Meer fallen, wenn alles zerstört wird, bleiben wir doch bei ihm geborgen. Gott ist bei uns, mitten in der Stadt, da kann uns nichts passieren. Die Brünnlein quellen über, Gott versorgt uns mit Wasser wie mit einem Strom…
Ihr Lieben, was gibt uns das Recht, ein solches Lied anzustimmen und mitzusingen? Wieso erlauben wir uns solche Aussagen? Was ist, wenn Leid, Not und Probleme nicht aufhören? Was ist, wenn das alles doch nicht so kommt wie erhofft?
Zurecht sind viele Leute misstrauisch, wenn Christen in scheinbar hoffnungs- und aussichtslosen Situationen trotzig solche Lieder anstimmen. Wenn sie voller Überzeugung anstimmen: „Ein feste Burg ist unser Gott,“ (ein Lied, dass den Psalm 46 als Grundlage hat). Menschen werden misstrauisch, wenn wir trotzig und mit einer Haltung von „jetzt erst recht“ dieses Lied der Hoffnung anstimmen. Vielleicht zweifelst du ja selbst daran…
Tatsächlich, wenn wir das so machen, wenn wir versuchen, unsere glorreiche Geschichte zu beschwören oder unser Durchhaltevermögen, ja unseren fabelhaften Glauben, unsere ach so tolle rechtgläubige Kirche mit diesem Lied zu besingen, dann liegen wir falsch. Gerade in der heutigen Zeit, wo wir mit der Realität schrumpfender Gemeinden und einer in unserer Welt immer unbedeutender werdenden Kirche zu kämpfen haben, da können wir dieses Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ so nicht anstimmen.
Also noch einmal: Wie können wir dieses Lied anstimmen? Wie können wir davon singen, dass Gott unsere Zuversicht und Stärke ist? Was gibt uns das Recht dazu?
Ihr Lieben, wir können das nur tun aus der Grunderkenntnis der Reformation heraus: „Mit unsrer Macht ist nichts getan.“ Wir glauben an Jesus Christus, der alles für uns getan hat! Wir vertrauen auf Gott, dass er unsere Zuversicht und Stärke ist: Gerade dann, wenn wir nicht stark sind! Gerade dann, wenn wir verzagen! Gerade dann, wenn unsere Welt untergehen will.
Und das eben nicht aus Trotz, sondern weil wir getröstet sind durch den Glauben an ihn. Es ist nicht das letzte Aufbäumen unserer Kräfte, sondern es ist der Sieg Gottes, den wir hier besingen.
So führt uns der Reformationstag zur Demut. Wir bleiben angewiesen auf Jesus Christus. Wir bleiben angewiesen auf die Barmherzigkeit Gottes. Es mag staunenswert sein, was menschliche Macht alles vollbringen kann; so viel Gutes und Großartiges können Menschen leisten. Was wird nicht alles gebaut, bewältigt, schönes erschaffen!
Aber das können wir eben nicht: unsere Welt heil machen, Schuld ungeschehen machen, den Tod überwinden. Das können wir nicht. Mag sein, dass wir uns lange Zeit darüber hinwegtäuschen; aber gerade in den Grenzsituationen, wo wir unsere Ohnmacht erfahren, wenn es nicht mehr weitergeht, da hilft kein „reiß dich zusammen“ und auch kein „weiter so“ oder „jetzt erst recht.“
Gott ist unsere Zuversicht und Stärke! Wenn wir das bekennen und besingen, dann geht es um Trost und Hilfe, um Geborgenheit in Jesus Christus. Es geht darum, wie wir auch angesichts des Todes leben können. Es geht darum, dass unser Durst gestillt wird - nicht nur in schweren, sondern auch in guten Zeiten. Es geht darum, dass wir wissen und fest darauf vertrauen dürfen, dass die Brünnlein fließen und niemals austrocknen werden, auch dann, wenn wir belagert sind. Egal, wie die Belagerung in unserem Leben grad aussehen mag.
Vielleicht stimmen wir in diesen (kollektiv) schweren Tagen dieses Lied jetzt nochmal ganz anders an: Vielleicht kommt eine Spur Demut hinzu. Etwas mehr Dankbarkeit. Mehr Gottvertrauen. Mit unsrer Macht ist nichts getan. Dafür sei Gott Lob und Preis! Amen.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. [Amen.]
Pastor Roland C. Johannes
Okober 2022