Und er ging nach Jericho hinein und zog hindurch. Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. Da sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. Zachäus aber trat herzu und sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams. Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Ihr Lieben,
Sehen und gesehen werden. Kannst du von deinem Platz aus heute gut sehen? Am Arbeitsplatz oder beim Autofahren richten wir unseren Sitz und die Rückspiegel und alles richtig ein, damit wir gut sitzen und sehen können.
Nicht immer muss ich unbedingt gesehen werden. Manchmal ist mir das sogar gar nicht so lieb. Aber ich möchte schon gerne gut sehen können. Im Kino, im Theater, im Stadion und auch in der Kirche. Jesus kommt in die Welt und zu den Menschen und zeigt sich. Er will gesehen werden und sucht die Menschen, sie zu sehen. Er ist nämlich gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Das hören wir auch heute wieder.
Auch nach Radevormwald ist er gekommen und möchte er kom-men und sich hier zeigen. Dieses Haus hier gehört zu den Orten, die er nutzt, um zu sehen und gesehen zu werden. Er kommt und er freut sich, wenn du auch kommst und siehst. Mit diesen Vorgedanken möchte ich mit euch auf die Geschichte von Jesus und dem Zöllner Zachäus schauen. Und er ging nach Jericho hinein und zog hindurch. Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus.
Lukas, der das aufgeschrieben hat, erzählt, wie Jesus unterwegs von Galiläa im Norden Israels in Richtung auf Jerusalem zu. Jericho ist da eigentlich nur eine Zwischenstation. Aber Jesus will die Stadt nicht links liegen lassen, so wie wir auf der Autobahn an einer Stadt vorbeifahren und nur anhand der Abfahrten registrieren, dass da ein größerer Ort neben unserer Strecke liegt. Jesus hat hier etwas vor. Er muss einen Menschen sehen und treffen.
Stell dir vor: Jesus kommt nach Rade. Das hat er schon vor 170 Jahren gemacht und früher, aber heute auch. Und er ging nach Rade hinein und zog hindurch. Und siehe, da war ein Mann und eine Frau mit Namen … und trag du jetzt einmal in Gedanken bitte deinen Namen ein.
… mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn zu sehen, denn dort sollte er durchkommen.
Wie groß bist du so? Musst du dir vielleicht auch in einer Menschenmenge mit Tricks helfen, um etwas sehen zu können? Ich meine Menschenmengen sind mit Corona seltener geworden, aber du erinnerst dich ja vielleicht noch. Zachäus jedenfalls weiß sich zu helfen. Seine Gestalt bekommt Konturen. Ich kann ihn mir vorstellen. Er ist neugierig und nicht dumm. Er sucht sich seine Position und von dort aus kann er Jesus sehen. Aus welcher Position siehst und hörst du eigentlich von Jesus Christus? Hast du dir auch einen Maulbeerbaum zurecht gemacht?
Es geht dabei nicht nur um deinen Sitzplatz, sondern auch um deine Haltung gegenüber Jesus und Gott. Jeder richtet sich da so seine Position ein – eher skeptisch oder vertrauensvoll, manche auch verbittert, andere suchend oder distanziert.
Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn in muss heute in deinem Haus einkehren.
Jesus kommt und er sieht Zachäus. Das war so gar nicht geplant. Zumindest nicht von Zachäus. Der wollte doch vor allem selbst sehen, nicht gesehen werden. Aber Jesus sieht ihn. Überhaupt: 6x ist in der kurzen Geschichte das Wort „sehen“ verpackt. Jesus sieht Zachäus in Jericho.
Und Jesus sieht dich in Radevormwald. Er sieht euch, wenn ihr hier einander begegnet. Die Martini-Kirche ist gerade so groß, dass wir uns gegenseitig sehen, wenn wir uns hier treffen. Das ist gut so. Du sollst nicht untergehen in der anonymen Masse, wenn du und dein Gott, wenn ihr einander begegnet. Du sollst schon auch in Frieden wieder gehen können, wenn du lieber für dich bleibst. Aber du sollst wissen: Jesus ist gekommen, dich zu suchen. Er sieht dich, wie er Zachäus gesehen hat.
Er hat sich dieses Haus, die Martini-Kirche, als Ort ausgesucht, um Menschen zu sehen und zu finden. Er sucht sie auch an anderen Orten: in deiner Kirche, wo du zu Hause bist. Und auch nicht nur in Kirchen. Für unser Kirchweihfest aber möchte ich mich auf dieses Haus konzentrieren und mich freuen: Jesus kommt hierher. Ich glaube fest, dass bei jedem Gottesdienst gilt: Und Jesus zog nach Rade hinein und kam in die Martini-Kirche. Er kommt hierher und sucht und sieht und findet Menschen. Und er ruft uns von unseren Maulbeerbäumen herunter.
Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren.
Steig du auch von deinem Baum – von deinem Platz und deiner Haltung, mit der du Gott im Himmel und seinen Sohn Jesus Christus immer schon in so eine Schublade gesteckt hast. Von wo aus du auf ihn geguckt hast. Steigst du herunter zu ihm, veränderst du deine Perspektive. Und Jesus Christus möchte dir begegnen. Er muss mit dir zusammen kommen. Das ist ihm ganz wichtig. Hier, in diesem Haus, will und muss er dir zeigen, wie wichtig du ihm bist.
Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden.
Zachäus wird durch die Begegnung mit Jesus und durch die Wertschätzung, der er bei dem Gottessohn erfährt, richtig fröhlich. Am Ende wird er ein ganz anderer Mensch. Er wird seinen Reichtum teilen, von Jesus gesehen und besucht zu werden, krempelt den kleinen reichen Zöllner total um. Er ist nicht nur von seinem Baum gestiegen. Gott hat ihn besucht und er hat zu Gott gefunden. Dafür war Jesus gekommen.
Das soll in diesem Haus auch geschehen. Dafür wurde diese Kirche 1852 gebaut und am 17. Oktober desselben Jahres noch geweiht. Dafür wurde hier 1902 der Kirchturm vor gebaut. Dafür habt ihr hier immer wieder eure Kirche renoviert und modernisiert.
Es wurden Lautsprecher und Mikrofone eingebaut und eine imposante Orgel angeschafft, damit Jesus Christus mit seiner Botschaft hier und heute immer noch euch Menschen, Kirchglieder und Gäste trifft, euch sieht und ihr erfahrt, dass ihr von Gott gesehen und gehört werdet. Dafür wird auch heute hier gepredigt. Dass du von deinem Baum herunter steigst, bei Jesus Gott mit anderen Augen sehen lernst und Vertrauen zu ihm fasst.
Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Bei aller Freude über die einzelne Begegnung zwischen Jesus und dem kleinen Mann in Jericho mag man sich leise fragen: Aber was ist denn dieser eine in Jericho gegenüber den unendlich vielen Menschen? Der Auftrag richtet sich doch an alle Menschen! Was ist denn mit allen anderen Einwohnern Jerichos – oder mit allen Menschen hier in Rade und in unserem Land?
Jesus hat die andern nicht vergessen. Die Mission richtet sich auf das große Ganze. Aber konkret wird Jesu Suche nach dem Verlorenen immer in den einzelnen Begegnung. Gott schenke, dass es davon hier und an vielen Orten viele gibt und Jesus sagen kann: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren. Gott sei Dank. Amen.
Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, soll unsere Herzen und Gedanken behüten. Amen
Pastor Florian Reinecke,
Oktober 2022