Denn der Herr, dein Gott, führt dich in ein gutes Land, ein Land, darin Bäche und Quellen sind und Wasser in der Tiefe, die aus den Bergen und in den Auen fließen, ein Land, darin Weizen, Gerste, Weinstöcke, Feigenbäume und Granatäpfel wachsen, ein Land, darin es Ölbäume und Honig gibt, ein Land, wo du Brot genug zu essen hast, wo dir nichts mangelt, ein Land, in dessen Steinen Eisen ist, wo du Kupfererz aus den Bergen haust. Und wenn du gegessen hast und satt bist, sollst du den Herrn, deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat.
So hüte dich nun davor, den Herrn, deinen Gott, zu vergessen, sodass du seine Gebote und seine Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, nicht hältst. Wenn du nun gegessen hast und satt bist und schöne Häuser erbaust und darin wohnst und deine Rinder und Schafe und Silber und Gold und alles, was du hast, sich mehrt, dann hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebt und du den Herrn, deinen Gott, vergisst, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft, und dich geleitet hat durch die große und furchtbare Wüste, wo feurige Schlangen und Skorpione und lauter Dürre und kein Wasser war, und ließ dir Wasser aus dem harten Felsen hervorgehen und speiste dich mit Manna in der Wüste, von dem deine Väter nichts gewusst haben, auf dass er dich demütigte und versuchte, damit er dir hernach wohltäte. Du könntest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir diesen Reichtum gewonnen. Sondern gedenke an den Herrn, deinen Gott; denn er ist’s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen, auf dass er hielte seinen Bund, den er deinen Vätern geschworen hat, so wie es heute ist.
Ihr Lieben,
es ist gute Tradition, vor dem Essen dieses oder ein ähnliches Tischgebet zu sprechen. „Segne Herr, was deine Hand, uns in Gnaden zugewandt.“ Wir erkennen und anerkennen damit, dass unser Essen, unser täglich Brot, aus der Hand des Herrn kommt. Das es ein gnädiges Geschenk Gottes ist, für das wir dankbar sind. „Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, oh Gott von dir. Dank sei dir dafür!“
Wir machen das in der Regel vor der Mahlzeit. Das, was Mose dem Volk Israel hier mitteilt, ist aber so etwas wie ein „umgekehrtes Tischgebet“: Wenn die Israeliten das gelobte Land eingenommen haben, wenn sie sich satt gegessen haben, dann sollen sie Gott dafür preisen. Mose sagt:
Und wenn du gegessen hast und satt bist, sollst du den Herrn, deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat.
Dieses gute, dieses gelobte Land, war ja Ziel und Ende eines langen und beschwerlichen Weges. Ein Weg aus der Knechtschaft in Ägypten, über den Gottesberg, dem Horeb, durch die Wüste, 40 Jahre lang. Es ist dies das „ideale Land“, das Gott für die Seinen bereithält. Es ist der Ort, darin Menschen keine Not und keine Entbehrung (mehr** erleiden müssen.
Und tatsächlich wurde dieser Dank dann auch in der liturgischen Praxis in Israel fest verankert. Es gab damals gleich drei Erntedankfeste im Jahr! Einmal zur Gerstenernte im März/April, einmal zur Weizenernte im Mai, und einmal zur Weinlese und Herbsternte im September/Oktober. Dreimal im Jahr wurde Erntedank gefeiert! Das Fest begleitete den Jahreszyklus, es war fest im Alltagsleben verankert. Israel wird zum Dank für das verpflichtet, was ihm an guten Gaben im verheißenen Land zufällt. Und das regelmäßig.
So weit, so gut. Menschen sind ja immer „irgendwie“ dankbar, wenn ihnen etwas Gutes widerfährt, oder? Sie freuen sich und sind in der Regel immer dankbar, wenn etwas Gutes in ihrem Leben passiert, würde ich mal behaupten! Wenn sie Glück haben oder wenn sie erfolgreich sind; wenn das Abi oder das Studium bestanden ist; wenn der Wunsch Job geangelt ist; wenn das erste Kind geboren wird; wenn die Eigentumswohnung endlich abbezahlt ist; wenn die Operation erfolgreich war; wenn das Testergebnis negativ ist; wenn sie einen Sechser im Lotto erzielen… Da ist man immer „irgendwie“ dankbar! Selbstverständlich!
Aber: Dieses spontane Gefühl verfliegt auch schnell wieder. Oder – noch schlimmer – es droht zur unbedachten Routine zu verkommen! Dankbarkeit ist keine Selbstverständlichkeit!
Und genau darum geht es hier im 5. Buch Mose im 8. Kapitel: Es geht darum, dass Dankbarkeit keine sporadische oder flüchtige Erscheinung sein soll, sondern vielmehr Lebenseinstellung. Es geht darum, das ganze Leben im Modus der Dankbarkeit zu gestalten.
Dankbarkeit ist keine Selbstverständlichkeit. Ich merke das in meinem Leben immer wieder. Ich merke, dass ich gewisse Dinge einfach hinnehme, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt! Das war bei Israel ja auch der Fall! Trotz dreifacher Feier, trotz der Regelmäßigkeit dieses Festes, haben auch sie immer und immer wieder sehr schnell vergessen, dankbar zu sein.
Ich stelle wieder einmal fest: Menschen, die im Wohlstand angekommen sind, mögen zwar wissen, wofür sie dankbar sind, aber nicht, warum sie dankbar sein sollten. Und wer nicht mehr weiß, warum er dankbar sein sollte, verliert auch bald das Bewusstsein darum, wem er dankbar sein sollte.
Und das, ihr Lieben, ist der zweite, wichtige Punkt hier in der Rede des Mose: Nicht nur, dass wir erinnert werden, wofür wir alles dankbar sein, sondern vor allem, wem wir dafür danken sollten.
So hüte dich nun davor, den Herrn, deinen Gott, zu vergessen.
Hüte dich davor, zu vergessen, dass du alles von Gott empfangen hast. Hüte dich davor, zu vergessen, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Hüte dich davor zu denken, dass du das alles selbst erwirtschaftet hättest.
Darum feiern wir Erntedank. Nicht nur einmal im Jahr, auch nicht dreimal, sondern täglich! So, wie wir es ja bereits dreimal täglich tun, und dabei jedes Mal ein kleines Erntedankfest feiern, im kleinen Kreis, zuhause am Esstisch:
„Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, oh Gott von dir. Dank sei dir dafür!“
Amen.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. [Amen.]
Pastor Roland C. Johannes
Oktober 2022