Das aber verdross Jona sehr, und er ward zornig und betete zum Herrn und sprach: Ach, Herr, das ist’s ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war. Deshalb wollte ich ja nach Tarsis fliehen; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. So nimm nun, Herr, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben.
Aber der Herr sprach: Meinst du, dass du mit Recht zürnst? Und Jona ging zur Stadt hinaus und ließ sich östlich der Stadt nieder und machte sich dort eine Hütte; darunter setzte er sich in den Schatten, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde. Gott der Herr aber ließ einen Rizinus wachsen; der wuchs über Jona, dass er Schatten gab seinem Haupt und ihn errettete von seinem Übel. Und Jona freute sich sehr über den Rizinus.
Aber am Morgen, als die Morgenröte anbrach, ließ Gott einen Wurm kommen; der stach den Rizinus, dass er verdorrte. Als aber die Sonne aufgegangen war, ließ Gott einen heißen Ostwind kommen, und die Sonne stach Jona auf den Kopf, dass er matt wurde. Da wünschte er sich den Tod und sprach: Ich möchte lieber tot sein als leben.
Da sprach Gott zu Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst um des Rizinus willen? Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis an den Tod. Und der Herr sprach: Dich jammert der Rizinus, um den du dich nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere?
Liebe Gemeinde,
in der letzten Woche war das dritte Kapitel des Jonabuches grundlage der Predigt und heute nun das vierte. Eigentlich könnte das Jonabuch nach dem dritten Kapitel zu Ende sein.
Ich fasse noch einmal kurz zusammen: Jona sollte in Gottes Namen der Stadt Ninive den Untergang ankündigen und war zunächst vor diesem Auftrag geflohen. Doch der Prophet wird mit Hilfe eines großen Fischs von Gott eingeholt. Jona erhält erneut den Auftrag nach Ninive zu gehen und gegen die Stadt zu predigen. Dieses Mal führt er den Auftrag aus. „Es sind noch 40 Tage, so wird Ninive untergehen“ (3,4) predigt Jona in der großen Stadt.
Dann geschieht, was er nicht erwartet hätte: Die Menschen von Ninive kehren um von ihren bösen Wegen. Sie ändern ihr Leben. Sie tun Buße. Und auch Gott kehrt um. Er macht seine Ankündigung nicht wahr, sondern verschont die vielen Menschen und Tiere in der Stadt.
Jetzt könnte man eigentlich erwarten, dass das Buch so endet: „Und Jona ging nach Hause glücklich und zufrieden. Er lobte Gott mit lauter Stimme und pries die Barmherzigkeit, die der HERR den Menschen von Ninive erwiesen hatte.“ Doch anstelle von einem dankbaren und zufriedenen Propheten lesen wir hier im 4. Kapitel von einem undankbaren und unzufriedenen Jona. Jona ist zornig. Warum? Er ist sauer auf Gott, weil der HERR kein Unheil über Ninive schickt. Jona schimpft:
Ach, HERR, das ist’s ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war. Deshalb wollte ich ja nach Tarsis fliehen; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen.
Jona hatte so etwas von Anfang an geahnt. Deshalb ist er ja auch vor dem Auftrag Gottes geflohen. Er hatte nicht Angst vor dem Scheitern sondern Angst vor dem Erfolg. Denn er wollte, dass diese dreckigen Niniveniten ein für alle Male zerstört werden. Seiner Meinung nach verdienen sie nichts anderes für ihre Bosheit. Außerdem wird Israel niemals sicher sein, wenn Ninive weiter existiert. Deshalb will Jona überhaupt gar nichts Gutes für diese Menschen tun.
Und deshalb hat er die göttliche Strafbotschaft in Ninive auch so sachlich verkündet wie ein Meterologe den Wetterbericht. Ein Wetterfachmann kündigt ja einfach nur an, was voraussichtlich kommen wir. „In drei Tagen ist mit heftigem Regen und orkanartigen Böen zu rechnen.“
Ob es die Hörer überzeugt und sie die Fenster schließen und die Keller sichern, bereitet dem Meterologen keine schlaflosen Nächte. Er hat die Vorhersage ausgerichtet, sachlich, nüchtern, korrekt. So hat das Jona gemacht. Auftrag ausgeführt. Haken dran. Und nun wartet er auf dem Hügel im Osten der großen Stadt, dass das Spektakel los geht. Doch das kommt nicht. Das Gesetz hat er gepredigt. Der Zorn Gottes, der über die Menschen kommen soll. Doch als Gott die Umkehr der Menschen in Ninive sieht und gnädig ist, kann sich Jona darüber nicht freuen.
Irgendwie ist das seltsam. Jona ist unterwegs im Auftrag des HERRN. Für einen Gott, der barmherzig und gnädig ist, geduldig und voller Güte. Diese Barmherzigkeit hat er auch schon persönlich erlebt. Vor dem Ertrinken wurde er durch den großen Fisch gerettet. Statt bestraft zu werden, bleibt er Gottes Botschafter.
Doch offenbar hat die Gnade nicht sein Herz erreicht. Gottes Barmherzigkeit nimmt er für sich selber gerne in Anspruch. Doch Gottes Barmherzigkeit für die Niniveniten: bloß nicht!
An dieser Stelle erkennen wir den Grund von Jonas Zorn gegenüber Gott. Es ist seine Selbstgerechtigkeit. Selbstgerechtigkeit funktioniert durch vergleichen. Wir müssen uns im Vergleich zu anderen überlegen fühlen. Wenn wir auf möglichst viele Menschen hinabblicken können, dann fühlen wir uns gut. Dann steigt unser Selbstwert. Selbstgerechtigkeit ist ziemlich verbreitet. Der Apostel Paulus behauptet, dass sie eine Grundkonstante unseres Herzens ist. Wir stellen permanent unsere Gerechtigkeit heraus, indem wir andere Menschen aburteilen (Röm 2,1ff).
Selbstgerechtigkeit gibt es leider auch im Bezug auf den Glauben. Das sehen wir bei Jona. Jona glaubt an Gott. Jona gehört zu Gottes Volk. Jona kennt Gottes Gebote. Dieses Wissen lässt ihn aber herabblicken auf die Ungläubigen, Gottlosen und Ungerechten. Ihnen fühlt er sich überlegen.
Bis heute gibt es diese Form der Selbstgerechtigkeit auch bei Christen. Sie fühlen sich Muslimen, Esoterikern oder Atheisten überlegen – selbst Schwestern und Brüdern einer anderen Konfession. Viel Selbstgerechtigkeit gibt es unter konfessionellen Lutheranern, die ja bekanntlich meinen, ernsthafter und treuer zu glauben, als andere Christen.
Unsere Selbstgerechtigkeit und die Barmherzigkeit Gottes passen aber nicht zusammen. Denn wir glauben ja, dass alle Menschen – auch ich – von Gott abgefallen sind und nur durch die unverdiente Barmherzigkeit Gottes Gemeinschaft mit ihm haben können. Gott macht uns gerecht. Nicht wir selbst.
Wenn wir das glauben, können wir uns nicht mehr über andere erheben. Jonas Selbstgerechtigkeit blockiert die Gnade Gottes. Seine Überheblichkeit hindert ihn daran, mit den Menschen in Ninive zu fühlen. Deshalb zeigt er statt Freude über ihre Erlösung Zorn.
Wie gut, dass Gott Geduld hat. Mit uns und auch mit Jona. Er erteilt ihm eine Lektion in Sachen Barmherzigkeit.
Auf seiner Anhöhe sitzt Jona und wartet ab, was geschehen wird. Die Hitze brennt erbarmungslos nieder – 40, 50 Grad können es dort in der Halbwüste ohne Schatten werden. Gott lässt einen Rhizinusstrauch wachsen, einen großblätterigen Busch, der auch auf trockenem Land extrem schnell in die Höhe treibt. Schatten. Wie angenehm. Jona freut sich darüber. An dieser Stelle sollten wir aufmerken. Denn es ist die einzige Stelle innerhalb des ganzen Buches, an der wir lesen, dass Jona sich freut.
- Jona freute sich nicht, als er von Gott berufen wurde.
- Er freute sich nicht, als er vom Tod im Bauch des Fisches errettet wurde.
- Er freute sich nicht, als die gesamte Stadt Ninive gerettet wurde.
- Und er freute sich auch nicht, als er von Gottes Gnade sprach.
Jona freut sich ausschließlich über diesen Busch, der ihm ein wenig Schatten spendet. Und dann wird genau diese Pflanze in der Nacht von einem Wurm heimgesucht und am nächsten Morgen ist der Busch eingegangen. Zusätzlich sorgt ein heißer Ostwind für unerträgliche Hitze. Jona packt der Zorn über diesen verdorrten Busch und die Hitze und Gott, der das nicht verhindert hat und möchte lieber tot sein. Durch dieses Erlebnis vorbereitet, macht Gott den zornigen Propheten auf sein selbstgerechtes Herz aufmerksam.
„Lieber Jona, dir tut es leid um diese Pflanze, die ohne dein Zutun gewachsen ist, nur weil du jetzt in der Hitze sitzt. Aber es geht dir nicht um den Rhizinus, es geht dir um dich selber. Jona, da sollten mir die vielen Menschen und Tiere in der großen Stadt nicht leid tun, dass ich sie verschone?“
Ähnlich wie das Gleichnis vom verlorenen Sohn endet diese Geschichte mit einer offenen Frage. Dabei ist die Antwort ja schon längst gegeben! Gott sagt: Mich reuen die Menschen, ich will sie nicht ins Unglück stürzen. Ich schenke ihnen genauso wie dir meine Barmherzigkeit.
Darum gibt er Ninive noch einmal eine Chance, darum hat er Jona nicht ertrinken lassen, darum gibt er jedem von uns immer wieder die Möglichkeit, neu anzufangen, wenn wir einmal den falschen Weg gegangen sind. Darum erinnert er uns daran, dass wir ohne seine Gnade verloren wären. Aber diese Gnade schenkt er uns. Gott sei Dank. AMEN
Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, soll unsere Herzen und Gedanken behüten. Amen.
Pastor Florian Reinecke,
Juli 2022