1 Und es geschah das Wort des HERRN zum zweiten Mal zu Jona: 2 Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage! 3 Da machte sich Jona auf und ging hin nach Ninive, wie der HERR gesagt hatte. Ninive aber war eine große Stadt vor Gott, drei Tagereisen groß. 4 Und als Jona anfing, in die Stadt hineinzugehen, und eine Tagereise weit gekommen war, predigte er und sprach: Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen. 5 Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und riefen ein Fasten aus und zogen alle, Groß und Klein, den Sack zur Buße an. 6 Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche 7 und ließ ausrufen und sagen in Ninive als Befehl des Königs und seiner Gewaltigen: Es sollen weder Mensch noch Vieh, weder Rinder noch Schafe etwas zu sich nehmen, und man soll sie nicht weiden noch Wasser trinken lassen; 8 und sie sollen sich in den Sack hüllen, Menschen und Vieh, und heftig zu Gott rufen. Und ein jeder kehre um von seinem bösen Wege und vom Frevel seiner Hände! 9 Wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut und er sich abwendet von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben. 10 Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht.
Liebe Gemeinde,
die Jonageschichte ist vielen aus dem Kindergottesdienst geläufig, damit wir aber alle auf einem Stand sind, gebe ich einen kurzen Überblick, was vor unserem Abschnitt so bisher geschehen ist:
Der Prophet Jona bekommt von Gott einen Auftrag:
Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen.
Doch Jona flieht. Er besteigt ein Schiff, das ihn weit weg bringen soll. Doch Gott schickt einen schweren Sturm. Die Seeleute werfen Jona über Bord ins Meer. Ein großer Fisch ret-tet den Propheten vorm Ertrinken. Drei Tage und drei Nächte weilt er im Bauch des Fisches. Jona betet. Schließlich wird er wieder ausgespuckt. Im dritten Kapitel erzählt das Jonabuch nun von drei erstaunlichen Umkehrbewegungen. Und diese drei Umkehrbewegungen möchte ich mit euch genauer ansehen.
1. Umkehrbewegung: Jona
Frisch an Land gespuckt erhält Jona erneut den Auftrag, Unheil über Ninive zu verkündigen. Gott möchte nach wie vor Jona als Bote haben. Das ist alles andere als selbstverständlich. Denn Jona hatte mit seiner Flucht den Auftrag Gottes verweigert. Im weltlichen Recht war das damals so: Verweigerte ein Bote den Befehl seines Königs oder führte ihn schlampig aus, wurde er einen Kopf kürzer gemacht.
Warum so eine harte Strafe? Nun, der König musste 100 Prozent sicher sein, dass seine Botschaft auch ankommt. Eine falsch oder schlecht überbrachte Nachricht konnte unter Umständen Krieg auslösen. Die Todesstrafe führte allen deutlich die Dringlichkeit zur Treue und Zuverlässigkeit eines Boten vor Augen.
Um so überraschender die erneute Beauftragung von Jona: „Und es geschah das Wort des HERRN zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage.“ In diesen unscheinbaren Worten blitzt bereits die große Barmherzigkeit Gottes auf.
Aber warum schickt Gott Jona zum zweiten Mal? Jona hat doch so unglaublich versagt. Die wenigsten, die Verantwortung tragen, würden jemanden ein zweites Mal mit so einer Aufgabe losschicken. Gott macht es aber. Gott hat sogar die merkwürdige Gewohnheit, genau solche Leute zu beauftragen. Zum Beispiel nach Ostern: Jesus schaut sich alle Jünger an und nimmt dann den, der in der Karwoche und bei der Kreuzigung die schlechteste Figur gemacht hat: Petrus. Zu ihm sagt er: Wenn ich gehe, hast du die Verantwortung.
Dahinter scheint eine Methode, ein geistliches Prinzip zu stecken. Unsere Fehler, unser Versagen, unsere Sünde machen uns im Grunde erst brauchbar für Gottes Auftrag. Denn diese Dinge verändern uns. Sie schenken uns eine andere Haltung.
Wenn es uns gut geht, dann haben wir leicht die Haltung: Im Grunde ist die Welt ein sicherer Ort und jeder kann sein Glück leben. Und wenn es einem anderen schlecht geht, dann denken wir leicht: „Naja, so schlimm kann es nicht sein. Wahrscheinlich ist er oder sie selber schuld.“ Unbarmherzig. Das steckt tief in uns drin. Bis, ja bis es uns selber trifft. Und dann wird diese Haltung aus uns herausgeschüttelt. Möglicherweise brauchen wir Leid und Schmerz und Schuld damit wir dienende, mitfühlende Menschen werden.
Gott beruft nicht die perfekten Menschen, sondern gerade die mit Ecken und Kanten. So wie Jona. So wie mich und dich. Erstaunlich: Durch diesen einen Menschen Jona verwandelt Gott eine ganze Stadt.
2. Umkehrbewegung: Ninive
Anders als bei seiner ersten Berufung folgt Jona dieses Mal dem Auftrag Gottes. Der Prophet macht sich auf und geht tatsächlich nach Ninive. Während Jona unterwegs ist können wir der Frage nachgehen: Was war eigentlich der Grund für Jonas Auftrag, Ninive das Unheil anzukündigen? Die Geschichte selber sagt es ja nicht. Das war auch gar nicht nötig, weil jeder in Israel wusste, wie grausam und unbarmherzig das Assyrische Reich ist.
Assyrien war ein Terrorstaat. Eine gewalttätige Gesellschaft. Ein men-schenverachtendes System mit einem brutalen Herrscher. Auch für damalige Verhältnisse über alle Maßen grausam. Und wie können ungerechte Gesellschaften verwandelt werden? Die Geschichte zeigt, dass es oft Kriege oder Katastrophen sind, die Reformbewegungen und Veränderungsprozesse anstoßen. Oder manchmal sogar beides – wie die Versöhnungsbewegung zwischen Tutsi und Hutu in Ruanda. Tiefgreifende Veränderungen geschehen aber nur dann, wenn bei allen Bürgerinnen und Bürgern ein Umdenken, eine Umkehr stattfindet. Darum geht es Gott. Um die Umkehr Vieler und die Transformation einer Gesellschaft.
Jona kommt in die große Stadt und hält eine Predigt, wie sie kürzer und schlechter wohl nicht sein könnte.
Überliefert ist uns nur dieser eine Satz:
Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen.
Im Hebräischen sind es nur fünf Worte. Dennoch ist es gerade diese Kurzpredigt, die überraschender Weise eine durchschlagende Wirkung bei den Einwohnern Ninives hat. Echt erstaunlich. „Noch vierzig Tage, dann ist Ninive zerstört.“ Ganz nüchtern stellt er der Stadt eine Prognose aus. Ohne von Gott zu sprechen oder vom himmlischen Strafgericht. Mit angesagter Deadline: Noch vierzig Tage.
Mich erinnert das an die Prognosen vieler Wissenschaftler. Wir haben keine 40 Jahre mehr und dann ist unser Planet, so wie wir ihn heute noch kennen, zerstört. Nur wenn wir jetzt umkehren und radikale Veränderungen in unserem Leben vornehmen, können wir die Klimakatastrophe verhindern. So predigen sie schon lange. Leider ohne durchschlagende Wirkung.
Viele Propheten in Israel erlebten, dass ihre Botschaft vom Volk Gottes nicht gehört wurde. Jona hingegen macht die Erfahrung, dass sich ausgerechnet seine Kurznachricht wie ein Lauffeuer verbreitet. Sogar bis zum König dringt die Predigt. Er legt seine königlichen Kleider ab, steigt vom Thron und geht in Sack und Asche. Er setzt Zeichen, geht mit gutem Beispiel voran.
Wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut und er sich abwendet von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben.
Vielleicht, vielleicht ist es noch nicht zu spät. Die ganze Gesellschaft fastet, betet und ändert ihr Leben. Auslöser dafür war letztlich die Angst vor der Zerstörung und das Ernst nehmen der mahnenden Worte des Propheten.
3. Umkehrbewegung: Gott selbst
Nicht nur Jona und die Stadt Ninive kehren um, sondern auch Gott selbst. Und das ist beachtlich. Gott reute das Übel, das er ihnen angekündigt hatte.
Er kehrt sich damit von seinem eigenen Gerichtsplan ab. Gott sieht die Bosheit und den Umkehrwillen der Stadt Ninive mit liebenden Augen an. Gott handelt gnädig und barmherzig. Und das gegenüber den gewalttätigen Feinden Israels, die alles andere als Gnade verdient hätten. Im AT eine Sensation.
Kann Gott nicht anders? Voltaire, der französische Kirchenkritiker aus dem 18. Jahrhundert, soll über Gottes Vergeben abfällig gesagt haben: “Vergeben, das ist ja sein Metier”. So als wenn Gott gar nicht anders kann, als vergeben und das egal, was vorgefallen sein mag.
Doch so ist es nicht. Es gibt keinen Automatismus. Vergebung funktioniert nicht wie ein Kaugummiautomat: Oben 10 Cent rein, unten Kaugummi raus. Oben Buße rein, unten Vergebung raus. Nein, das klappt so nicht. Vergebung ist immer ein souveränes, unabhängiges, freiwilliges Handeln Gottes, das wir nicht einfordern können. Verdient haben wir sie nicht, die Gnade. Sie ist nie billig. Sie hat Gott viel gekostet. Seinen Sohn. Sein eigenes Leben.
Von drei Umkehrbewegungen erzählt diese Geschichte: Jona kehrt um. Die Bewohner Ninives kehren um. Gott kehrt um. Für mich steckt in dieser Geschichte eine doppelte Botschaft:
- Du kannst neu anfangen. Jona und Jesus betonen das: Du wirst nicht festgelegt auf deine Vergangenheit. Umkehr ist möglich! Gehe hin und sündige nicht mehr.
- Gott ist nicht statisch. Gott kann sein Wollen verändern und Gnade vor Recht ergehen lassen.
Gott sei Dank. AMEN
Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, soll unsere Herzen und Gedanken behüten. Amen.
Pastor Florian Reinecke,
Juni 2022