So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.
Liebe Gemeinde,
Warum feiern wir Pfingsten? Darauf kann man unterschiedlich antworten. Einmal ganz einfach biblisch: Weil wir die Herabkunft des Heiligen Geistes und den Geburtstag der Kirche feiern.
Und dann kann man auf die Frage: Warum feiern wir Pfingsten auch ganz ehrlich und einfach antworten mit: Weil wir es brauchen. Weil wir den Heiligen Geist brauchen. Weil wir die Kirche brauchen. Und weil wir deshalb Pfingsten brauchen.
Eine steile Behauptung könnte man meinen. Ich meine es aber ernst und besonders zu Pfingsten halte ich es für zwingend geboten, auf die Wichtigkeit des Heiligen Geistes hinzuweisen.
Dieser Geist oder die heilige Geistkraft befähigt jede Christin, jeden Christ gerade in Glaubensdingen skeptisch zu sein, nicht vorschnell und ungeprüft „Ja und Amen“ zu sagen, was andere behaupten, sondern einen eigenen Glauben und somit eine eigene Beziehung zu Gott zu entwickeln – mit Gottes Hilfe.
Und deshalb stimmt es einfach, dass wir den Heiligen Geist, die Kirche und Pfingsten brauchen. Und ich behaupte, dass der Apostel Paulus in den vier Versen des achten Kapitels des Römerbriefes, die am heutigen Sonntag Predigttext sind, diese meine Behauptung schon vor langer Zeit untermauert hat. In den ersten beiden Versen schreibt er:
So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.
Da kann man durchaus kritisch widersprechen. Von dem Gesetz der Sünde und des Todes fühle ich mich nicht befreit. Ich lade immer noch Schuld auf mich und ich werde auch eines Tages sterben. Lieber Paulus, ich bin noch nicht überzeugt. Gut, dass es noch zwei weitere Verse gibt:
Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.
Was Paulus mit etwas schwierigen Worten schreibt, meint eigentlich in etwas einfacher: An Pfingsten geht es um Ostern. Da geht es um die Auferstehung. Nämlich um Jesu Auferstehung und um unsere Auferstehung.
Der Geist, den die Jünger an Pfingsten empfangen haben, den wir in der Taufe empfangen haben und immer wieder neu geschenkt bekommen, dieser Geist macht lebendig. Nicht in dem Sinne, dass wir jetzt etwas vitaler sind, sondern in einem ganz elementaren Sinn: Wir überwinden den Tod. Darum geht es an Pfingsten, um den Glauben, der auch immer Glaube an die Auferstehung ist.
Das Evangelium vom Pfingstmontag verdeutlicht das. Da tritt Jesus unter die Jünger und wünscht ihnen den Frieden (Johannes 20,19-23). Und bevor er sie anhaucht und ihnen den Heiligen Geist verleiht, zeigt er ihnen seine Wundmale – ein kurzer Satz, der schnell überlesen werden kann. Vielleicht der entscheidende Satz: Der Auferstandene ist der Gekreuzigte.
Den Auferstandenen als den Gekreuzigten zu erkennen fällt den Jüngern anfangs schwer: Maria Magdalena erkennt in ihm einen Gärtner, die Emmausjünger erkennen ihn erst am Brotbrechen.
Und wir glauben, was wir lesen: Jesus Christus – wahrer Gott und wahrer Mensch; der Gekreuzigte ist der Auferstandene. Damit die Jünger das verstehen können, empfangen sie im Evangelium den Heiligen Geist. Das Evangelium schildert uns, warum die Jünger und wir den Heiligen Geist brauchen: Um glauben zu können, dass Jesus Christus gestorben und auferstanden ist; um glauben zu können, dass das Leben den Tod besiegt hat.
Was wüssten wir heute von Ostern und der Auferstehung Christi, wenn es Pfingsten nicht gegeben hätte? Wahrscheinlich nichts. Ostern wäre ein privates Ereignis Jesu und seiner kleinen Gemeinschaft von Frauen und Männern geblieben.
Es brauchte den pfingstlichen Geist, um die Grenzen zu sprengen, damit die Osterbotschaft in alle Welt verkündet wird, damit die Evangelisten sie hörten und aufschrieben. Damit der Apostel Paulus sie hörte und in die weite Welt trug.
Den Glauben, von dem er im Römerbrief schreibt: Dass es keine Verdammnis mehr gibt, dass uns die Schuld vergeben wird, dass wir trotz dieser Schuld leben werden. Es braucht den pfingstlichen Geist, damit wir bis heute die Osterbotschaft hören und weitererzählen.
Pfingsten ist das Startsignal für die Verkündigung der Frohen Botschaft vom Sieg des Lebens über den Tod – vor zweitausend Jahren und an jedem neuen Pfingsten. Das ist das Wunder dieses Festes, das Wirken des Heiligen Geistes: Dass die Auferstehung zur Wirklichkeit unseres Lebens wird, der Auferstehungsglaube zum Fundament unseres Denkens, Fühlens und Handelns, zum tragfähigen Halt des Lebens.
Darum können wir uns freuen, wie wir Pfingsten hier in Rade feiern können. Wir können es in besonderer Gemeinschaft feiern. Dafür brauchen wir auch die Kirche.
Wenn wir gemeinsam bewegt werden, anstatt als Einzelne zu erstarren. Wenn mehr Leben in unserem Leben ist, wenn sich etwas bewegt, können wir gewiss sein, dass der Heilige Geist in uns wirkt. Denn Pfingsten ist ja nicht nur das Herunterkommen des Heiligen Geistes, sondern auch das Wirken des Heiligen Geistes.
Die Apostelgeschichte berichtet davon: Tausende von Menschen unterschiedlicher Nationalität haben sich in Jerusalem versammelt, die Apostel stürzen aus ihrem Haus und erzählen den Menschen von dem, was ihnen am Wichtigsten ist – nämlich von ihrem Glauben an Jesus, der Zeichen und Wunder gewirkt hat, der gekreuzigt wurde und auferstanden ist. Die künftigen Apostel erzählen davon so begeistert und überzeugend, dass der Funke auf Menschen überspringt, sich dreitausend Menschen taufen lassen und ihrem Leben eine neue Richtung geben. Das ist Pfingsten! Paulus hat das Wirken des Heiligen Geistes erlebt. Er reist umher, verkündet die Frohe Botschaft vom Sieg des Lebens, Menschen lassen sich begeistern, Gemeinden entstehen.
Das ist eine gute Erinnerung an unsere Aufgaben als Teile von Kirche und Gemeinde: zu den Menschen zu gehen und ihnen von Gott zu erzählen. Das sind nicht die Aufgaben der Kirche als solche, sondern dazu sind wir, alle Christen, jeder und jede von uns, aufgerufen. Das ist auch eine Last, aber wer sich dem stellt erlebt viel Lust und wirklich wunderbares. Ich lade euch ein mal mit mir und der Kaffeekarre auf den Markt zu gehen und in Gespräche über Gott und die Welt einzutreten.
Mit einer kleinen Schmunzler möchte ich euch Mut dazu machen: Beim Spielen verletzt sich ein kleiner Junge. Er weint ganz herzzerreißend, so laut, dass es eine Pfarrerin hört, die zu ihm hingeht. Sie versucht ihn ein wenig zu trösten: „Der liebe Gott wird das ganz schnell wieder heilen.“ Der Junge stutzt, hört mit dem Weinen auf und fragt dann: „Muss ich dazu zu ihr rauf oder kommt sie zu mir runter?“ Pfingsten gibt auf diese Frage die Antwort: Gott kommt zu uns Menschen herunter. Im Heiligen Geist. An Pfingsten. Und immer wieder neu.
Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, soll eure Herzen und Gedanken behüten. AMEN
Pastor Florian Reinecke,
Juni 2022