Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.
Liebe Gemeinde,
eine Sache, an die ich mich hier in Deutschland noch gewöhnen muss, ist das Schulwesen. In meiner südafrikanischen Heimat, da ging es damals sehr anders, sehr Britisch zu! Mit Schuluniform wie bei Harry Potter! Mit vielen Regeln und Regularien, mit einem streng hierarchischen System. Es herrschte weitgehend eiserne Disziplin. Strafe gehörte dazu! Den Anweisungen der Lehrer ist Folge zu leisten. Es gab wenig Spielraum für Diskussion. Ein bisschen wie beim Militär – zumindest, wenn man es mit dem deutschen System vergleicht.
Eine Regel, die bei uns an der Schule besonders zu beachten war, war die, dass es Schülern strengstens untersagt war, den Bereich vor dem Büro des Schulleiters zu betreten. Falls man den Schulleiter sprechen wollte (was in der Regel sowieso undenkbar war, es sei denn, man hatte was verbockt), musste man sich zuerst bei der Sekretärin anmelden. Diese Frau heiß Mrs. Gough, und sie war furchterregend! Falls sie sich die Anfrage überhaupt angehört hat, musste man daraufhin ziemlich lange warten, bis man endlich drankam. Als einfacher Schüler erst recht! Oftmals wurde man auch einfach abgewiesen: Keine Zeit! Zu unwichtig!
Alles in allem war das mit dem Besuch beim Schulleiter kein Vergnügen – man hatte eher Angst davor …
Aber als ich damals auf der Schule war – Wartburg Kirchdorf High School, 1993-1997, da konnte ich dieses Büro des Schulleiters betreten, wie und wann ich wollte. Tatsache! Ich musste nicht erst zur Sekretärin. Ich musste in der Regel nicht warten, ich brauchte kaum anzuklopfen. Ich konnte die strenge Regel, dass Schüler diesen Bereich zu vermeiden hatten, einfach so ignorieren.
Ihr Lieben, ich durfte das nur deswegen, weil der Schulleiter mein Vater war. Ich konnte dort ein und ausgehen, weil der Mann, der im Chefsessel saß, mein Papa war. Wohlgemerkt: Ich durfte das nicht, weil ich ein so besonders guter Schüler war, der alles richtig gemacht und sich durch Leistung ausgezeichnet hat, sondern schlicht und ergreifend, weil mein Papa dort das Sagen hatte. Wo andere ehrfurchtsvoll „Herr Johannes“ zu ihm sagten, sagte ich ganz einfach „Papa!“
Jesus lädt uns heute morgen ein, ebenfalls von diesem Privileg gebrauch zu machen! Wir sind Kinder Gottes! Und so fordert er uns auf, direkt zum Vater zu gehen. Er sagt uns, dass es nunmehr keine Umwege gibt, keine Sekretärin, die den Weg versperrt, keine Regel, die den Zugang untersagt, keine Wartezeiten.
Ist dir eigentlich bewusst, dass du den Schöpfer des Himmels und der Erden mit „Vater“ anreden darfst? „Vater unser“…. Wie oft hast du das nicht schon ausgesprochen? Ist das nicht wunderbar? Du hast direkten Zugang zum mächtigsten Mann der Welt. Du darfst ihn „Papa“ nennen.
Martin Luther beschreibt das so treffend im Kleinen Katechismus, wenn er zur Einleitung des Vaterunsers schreibt: „Gott will uns (mit diesen Worten) locken, dass wir glauben sollen, er sei unser rechter Vater und wir seine rechten Kinder.“ Er lädt uns ein, ihn als Vater anzureden. Er lädt uns ein, ihn zu bitten – bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei! Oder wie Luther das sagt: „Auf das wir getrost und mit aller Zuversicht ihn bitten sollen wie die lieben Kinder ihren lieben Vater.“
Der Apostel Paulus beschreibt diese Beziehung zwischen uns und Gott in Römer 8:
Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!
„Abba“ – dieses aramäische Wort (Jesus sprach Aramäisch) bedeutet nichts anders als „Papa!“. Hast du Gott schon mal mit „Papa“ angesprochen? Wir dürfen das – ja, wir sollen es sogar! Jesus fordert uns auf, von diesem Privileg Gebrauch zu machen.
Jesus sagt: Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Es ist interessant, dass während Jesu Lebenszeit die Jünger niemals als Betende dargestellt werden. Es ist immer Jesus, der betet. Das bedeutet freilich nicht, dass die Jünger niemals selbst gebetet hätten! Sie gingen regelmäßig in die Synagoge, sie kannten die liturgischen Gebete, sie kannten die Psalmen und andere biblische Gebete auswendig. Aber was meint Jesus eigentlich hier? Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Ja, ihr habt gebetet, ihr habt eure Anliegen geäußert, aber ihr habt es nicht in meinem Namen getan! Ihr habt bisher nicht als Kinder mit dem Vater geredet. Als solche, die durch Christi Blut erlöst sind! Ihr habt ihn nicht mit „Vater“ angeredet, ihr habt nicht „Abba“, ihr habt nicht „Papa“ gesagt!
So schön die Analogie mit meinen Erfahrungen als Schüler doch ist, so war es damals tatsächlich noch etwas anders. Auch wenn mein Vater der Schulleiter war, so genoss ich dennoch keine Immunität. Es gab z.B. keine Bevorzugung im Unterricht – auch wenn einige das wohl dachten! Tatsächlich war es für mich als Schüler nicht immer ganz einfach, Kind des Schulleiters zu sein. Einige Lehrer haben sogar ihren Frust über ihren Chef an den Sohn ausgelassen. Das war nicht immer einfach. Ich durfte zwar ungehindert ins Büro des Schulleiters, aber ich war immer noch ganz normaler Schüler, mit allem, was dazugehört. Es gab keine Bevorzugung.
Aber, wenn wir zu Gott, unserem himmlischen Vater gehen, dann gibt es ganz klar eine Bevorzugung. Wenn du Gott als Vater, als „Papa“ anredest, dann bist du immun. Du bekommst Immunität, du wirst bevorzugt, du wirst nicht mehr bestraft. Nicht, weil du es verdient hättest! Nicht weil du ein Vorzeigeschüler bist, der alles richtig macht und nur Einsen schreibt. Nein, einzig und allein, weil du im Namen Jesu zu ihm kommst, mit dessen Blut du gewaschen bist, der dein Bruder geworden ist, der dich in deiner Taufe zum Kind Gottes gemacht hat.
Ja, auch als Kinder Gottes werden wir ins diese Welt Angst haben. Aber es ist unser Vater, der Himmel und Erde geschaffen hat, der alles in der Hand hat, der zu uns sagt (nur wenige Verse nach unserem Predigtabschnitt):
In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden! (Joh 16, 33)
Darum dürfen wir uns – besonders am heutigen Sonntag Rogate - gemeinsam aufmachen, direkt zum Chef, ohne Umwege. Welch ein Privileg!
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.
Amen.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Pastor Roland C. Johannes,
Mai 2022