Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam. Es ist schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch und durch. Es durchdringt Seele und Geist, Mark und Bein. Es urteilt über die Gedanken und die Einstellung des Herzens.
Kein Geschöpf bleibt vor Gott verborgen. Nackt und bloß liegt alles offen vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft schuldig sind.
Ihr Lieben,
Worte schaffen Wirklichkeiten und deshalb ist es so wichtig sorgfältig zu sein und zu bleiben und immer wieder genau hinzuhören, aber auch auf sich und seine Worte zu achten.
Wohnungsübergabe. Er ist aufgeregt, ihm ist fast übel. Er weiß, ohne Beanstandung wird es nicht über die Bühne gehen. Die Vermieterin hat einen scharfen Blick. Das hat sie in der Vergangenheit immer wieder gezeigt. Und wenn sie jetzt die Wohnung wieder zurücknimmt, wird sie jeden noch so kleinen Makel aufschreiben.
Die Kaution wird er nicht wiederkriegen, davon ist er überzeugt. Aber was, wenn die Vermieterin noch viel mehr Geld fordert? Er hat Angst. Denn das Parkett ist beschädigt. Einige kleinere Wasserflecken waren schon da, als er eingezogen ist. Aber der große geht auf sein Konto. Er denkt: Das ist doch die Gelegenheit für die Vermieterin. Sie wird nicht nur meinen Schaden von meinem Geld reparieren lassen, sondern alles. Zur Übergabe nimmt er seinen Bruder mit. Der ist ein paar Jahre älter. So muss er der Vermieterin nicht allein gegenübertreten. Und vielleicht kann der Bruder auch eingreifen, wenn es gar zu unfair wird.
Die Brüder warten in der leeren Wohnung. Dann klingelt es. Vor der Tür steht eine junge Frau. Sie lächelt. Ich bin die Tochter, sagt sie. Er entspannt sich etwas. Die ist nett, denkt er. Vielleicht beanstandet sie nicht jeden kleinsten Kratzer, wie ihre Mutter es mit Sicherheit getan hätte. Sie gehen durch die Wohnung. Dann kommen sie ins Wohnzimmer. Sein Herz klopft. Jetzt gleich wird sie den Wasserschaden sehen. Sagen, dass das ein großer Schaden ist und dass die Kaution dafür nicht reichen wird.
Die junge Frau sagt: Die Wasserflecken sind ja vom Vormieter. Meine Mutter hat es mir vorhin noch gesagt. Die Brüder gucken sich an. Im Blick des Älteren liegt eine Frage. Und auch eine Aufforderung. Schließlich ist er mitgekommen, damit es gerecht zugeht. Aber der Jüngere schweigt. Sagt weder Ja noch Nein. Weil er mit diesem Lauf der Dinge nicht gerechnet hat. Und weil er auf einmal die Chance hat, ganz ohne finanziellen Verlust aus der Sache herauszukommen. Sie gehen ins nächste Zimmer. Plötzlich spürt er, wie der Bruder ihm unauffällig etwas in die Hand schiebt. Er dreht sich zur Seite, schaut nach unten. Ein Zettel. Darauf die Worte: „Willst du zu den Flecken nichts sagen?“ Einen Moment kommt er innerlich ins Schleudern. Die Worte treffen ihn. Aber dann entscheidet er sich dagegen und steckt den Zettel in die Hosentasche.
Ein paar Tage später in der neuen Wohnung. Ein Kumpel ist zu Besuch. Sie gucken einen Film. Plötzlich tönt es aus dem Fernseher: „Was bist du bereit, für die Wahrheit zu geben?“ Er zuckt zusammen, denkt an die Wohnungsübergabe. Seine Finger finden unwillkürlich den Zettel, der immer noch in seiner Hosentasche ist. Er versucht sich selbst zu beruhigen. Es ist gelaufen, denkt er, vorbei. Beim nächsten Mal kann ich es ja anders machen.
Aber die Worte lassen ihn nicht los. Sie entwickeln ein Eigenleben, drehen sich in seinem Kopf. Es ist, als ob Gott selbst zu ihm gesprochen, nein, fast in sein Ohr geschrien hat. Es war doch eine Lüge, begreift er nun. Nicht nur das Verschweigen der Wahrheit. Wie ein Schwert bohrt sich die Erkenntnis in sein Herz.
Von der Macht der Worte erzählt auch der Predigttext dieses Sonntags. Am Anfang der Welt hat Gott direkt zu den Menschen gesprochen. Von Angesicht zu Angesicht. So lesen wir es jedenfalls in der Geschichte von Adam, Eva und dem Paradies. Nachdem die beiden aus Eden weg sind, ist die Begegnung von Angesicht zu Angesicht nicht mehr möglich. Aber Gott redet auf vielfältige Weise weiter zu Menschen.
Abraham teilt er durch den nächtlichen Sternenhimmel etwas von seiner unendlichen Güte mit. Zu Jakob und Josef spricht er durch Träume. Zu Mose aus einem Feuer. Und auch heute ist Gottes Wort nicht nur einfach ein Text in einem heiligen Buch. Gott kann auch bei uns durch Träume sprechen. Durch einen Menschen, der uns so liebevoll begegnet, wie Gott es auch tut. Oder der uns wieder auf den Pfad der Wahrheit zurückholen will. Gott kann durch Zettel sprechen, durch eine Szene in einem Buch oder Film, durch ein Lied.
Wenn Gott spricht, geschieht etwas. Weil sein Wort nicht nur ein Wort ist. Immer liegt auch etwas von ihm selbst darin. Von seiner Kraft und von seiner Macht. Am Anfang ruft er die Welt nur durch sein Wort ins Leben, ebenso die Tiere und Menschen auf ihr. Durch sein Wort trennt er das feste Land vom Abgrund des Meeres. Gott spricht auch durch Jesus. Und auch dann geschieht etwas. Als Jesus mit seinen Jüngern im Boot unterwegs ist und ein Sturm losbricht, droht das Boot zu sinken. Jesus bekommt es nicht mit, er schläft. Doch als die Jünger ihn geweckt und um Hilfe angefleht haben, da stellt Jesus sich hin, breitet die Arme aus und spricht zu Wind und Sturm: Seid ruhig! Und sofort ist Stille. Gott ist in seinem Wort gegenwärtig. Sein Wort bleibt nicht ohne Wirkung. Es ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes Menschenwort. Es kann sich anfühlen wie ein Schwert. Es schneidet tief und scharf und trifft mitten ins Herz. So wie bei dem jungen Mann vom Anfang. Der erkennt sein Unrecht. Die Erkenntnis lässt ihn nicht mehr los. Sie tut weh.
Das Wort Gottes deckt Lügen und falsche Sicherheiten auf. Und es zeigt uns unsere Situation in Gottes Licht. So, wie es wirklich ist. Denn Gott weiß, was in meinem Herzen ist. Verborgen vor Menschenaugen, vielleicht sogar vor meinen eigenen. Weil ich es selbst nicht sehe oder es mir nicht eingestehen will. Gott kennt es. Sein Wort trennt Licht und Schatten. Er zeigt, auf welchem Grund ich sicher stehen kann und wo ich im Meer versinke.
Es kann wehtun, wenn Gottes Wort mich trifft. Aber es schenkt auch eine andere Perspektive, einen neuen Anfang. Vor Gott zählt nur seine Wahrheit. Ich werde frei von meinen eigenen Halbwahrheiten und Lügen und Irrwegen.
Dem jungen Mann ist das Herz noch schwerer geworden, weil er so lange gewartet hat, die Lüge zuzugeben. Und weil er das scharfe Nachdenken über sich selbst vermieden hat. Das erkennt er. Er nimmt schließlich sein Handy und schreibt der jungen Frau die Wahrheit. Wieder hat er Angst. Und es ist ihm ziemlich peinlich. Sein Unrecht ist nun offenbar. Aber als er die Nachricht abgeschickt hat, ist er auch erleichtert. Es ist, als ob er von einer großen Last befreit sei.
Gottes Wort ruft uns nicht nur in die Verantwortung ihm und uns selbst gegenüber. Es macht uns auch die Verantwortung für andere und für die Welt bewusst. Es hilft, andere von Lasten zu befreien und aufzuzeigen, wo Unrecht geschieht. Die Stimme zu erheben, wenn Menschen in Meeresfluten versinken; wenn Mitschüler gemobbt werden; wenn die Schöpfung ausgebeutet wird und Tiere gequält werden.
Es gilt also sorgfältig zu sein und zu bleiben und immer wieder genau hinzuhören auf menschliche Worte, denn wie schnell verletzen auch wir Menschen, indem wir sie sprachlich nicht beachten oder gar ausschließen, weil wir unsere Prägungen bewahren und nicht überprüfen. Das mag für die eine oder den anderen vielleicht irritieren oder unnötig sein, aber wer selbst betroffen ist, für den ist die sprachliche Sorgfalt notwendige Beachtung. Jesus z.B. hat den Pharisäern ihre Hartherzigkeit vor Augen geführt. Nicht die gebildeten Männer hat er in den Mittelpunkt gestellt, sondern Kinder. Er hat für die und mit denen gesprochen, mit denen sonst keiner geredet hat. Und er hat von Gott erzählt, um weiterzugeben, was er mit ihm erlebt hat.
Und was ist, wenn ich mich fern von Gott fühle? Wenn mir seine Worte nichts sagen? So wie die Jünger im Sturm. Gerade dann, wenn ich voller Angst bin oder voller Zweifel, schuldbeladen oder ratlos. Christus selbst ist Gottes lebendiges Wort. Dieses Wort bewegt auch etwas in mir.
Es gilt also auch hier sorgfältig zu sein und zu bleiben und immer wieder genau hinzuhören auf Gottes Worte, die Wirklichkeiten schaffen, wenn er zum Beispiel wie gleich im Abendmahl zu uns spricht: Ich bin da! Und wo er uns dann nahekommt und alle Trennung überwindet. Gott sei Lob und Dank dafür. Amen.
Pastor Florian Reinecke,
Februar 2022