Liebe Gemeinde,
der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy komponierte in den Jahren 1843-1846 seine „Sechs Sprüche“ (Opus 79), die für den Chor des Berliner Doms bestimmt waren. Es handelt sich dabei um Vertonungen des Hallelujaverses, der direkt nach der Epistellesung erklingt – an der Stelle also, wo in unserer Liturgie ebenfalls der Hallelujavers vorkommt.
Die Nummer 3 dieser Sammlung ist für den Neujahrstag bestimmt. Den Text findet ihr oben auf dem Gottesdienstblatt abgedruckt. Aus Psalm 90, die ersten beiden Verse:
„Herr, Gott, du bist unsre Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge worden, und die Erde und die Welt erschaffen worden, bist du Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Halleluja!“ (Psalm 90, 1+2)
Mendelssohn-Bartholdy komponiert hier ganz schlicht und einfach, wenn auch achtstimmig. Der musikalische Charakter entspricht der Aussage des Textes. Der Komponist versucht, uns den Text quasi vorzumalen, uns vor Augen zu führen, was da ausgesagt wird! Hören wir nun diesen kurzen Vers zum Neujahrstag, in einer besonders klangschönen Aufnahme mit dem Kammerchor Maulbronner unter der Leitung von Juergen Budday.
Herr, Gott, due bist unsre Zuflucht
Vor unserem inneren Auge sehen wir, wie die Berge sich auftun. Mächtig, imposant. Bereits im allerersten Satz malt Mendelssohn-Bartholdy uns einen Berg vor. Und wir spüren, wie überragend, wie unbeweglich Berge sind. Wie sie die Landschaft dominieren.
Berge üben auf mich persönlich eine gewisse Faszination aus. Als ich hörte, dass wir ins Bergische Land ziehen, war ich zuerst recht begeistert. Dann wurde mir aber klar, dass das „Bergische“ in diesem Falle wenig mit Bergen zu tun hat, auch wenn es hier gewiss kein Flachland ist. Aber eine Reise in die Alpen ist schon etwas Besonderes.
Auch in meiner südafrikanischen Heimat gibt es imposante Berge. Die Drakensberge zum Beispiel, die sich über einer Länge von etwa 800 Kilometern quer durchs Land erstrecken; Höchster Punkt um die 3400 Meter.
Im nördlichen Teil dieses Gebirges befindet sich das Örtchen Lüneburg. In Lüneburg war ich von 2013 bis 2014 Vikar. Am Fuße des sog. „Ncaga“-Berges liegt das malerische kleine Dorf. Eine Kirche, Gemeindesaal, Schule, Internat, einige Häuser – mehr nicht. Im Hintergrund der mächtige Berg.
Während meines Vikariats war die Gemeinde dabei, sich auf das 150. Gemeindejubiläum vorzubereiten. Und so verbrachten wir viele Stunden damit, alte Fotos für die Festschrift zu durchforsten. Bilder von der ersten Kirche, vom neuen Pfarrhaus, vom Ausbau der Schule… man konnte anhand der Bilder sehr schön verfolgen, wie sich das kleine Dorf über 150 Jahre entwickelt hatte.
Aber: Während sich das Dorf immer wieder veränderte, die Bauten entweder abgerissen, ausgebaut oder neu errichtet wurden, blieb der Berg immer gleich. Da änderte sich nichts! Immer wieder, auf jedem Foto, dieser Berg. Wir waren so sehr damit beschäftigt zu analysieren, wann die Bilder wohl entstanden wären und welche Bauten bereits errichtet waren, wie das alles damals so aussah, dass uns erst gar nicht bewusst wurde, dass der Berg eine Beständigkeit ausstrahlte. Die Menschen tun und schaffen, bauen und reißen ab, aber der Berg bleibt. Unveränderlich.
Ihr Lieben, wir werden heute morgen, am ersten Tag des neuen Jahres, dazu aufgefordert, dieses in den Blick zu nehmen. Diese Beständigkeit, diese Unveränderlichkeit Gottes! Ehe denn die Berge worden, und die Erde und die Welt erschaffen worden. Ja sogar bevor das alles entstanden ist, bevor diese Berge – die bereits so beständig erscheinen – erschaffen wurden, ja bevor irgendetwas war, da war Gott bereits! Unveränderlich, beständig, mächtig.
Und bei diesem beständigen Gott dürfen wir, auch im neuen Jahr, Zuflucht nehmen. Bei aller Unbeständigkeit in unserem Leben, beim Ab-, Aus- und Umbau, bei aller Veränderung. Ich weiß nicht, welche Baustellen dir im neuen Jahr bevorstehen. Was alles in deinem Leben an Abbau, an Ausbau und Umbau stattfinden wird. An Veränderung. Egal, was kommt: Wir dürfen Zuflucht nehmen bei Gott, dem Beständigen. Herr, Gott, du bist unsre Zuflucht für und für.
Felix Mendelssohn-Bartholdy hat es geschafft, diese Ruhe, diese Beständigkeit, ja diese Ewigkeit in Musik festzuhalten. Sie erklingt nur kurz, aber ihr Nachhall ist lang. Ich wünsche euch und uns allen, dass dieses Jahr – bei allen Umbrüchen – ein Jahr der Beständigkeit wird. Ein Jahr in der Gegenwart des ewigen Gottes. Ein Jahr, in dem wir unsere Zuflucht bei Gott suchen.
„Herr, Gott, du bist unsre Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge worden, und die Erde und die Welt erschaffen worden, bist du Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Halleluja!“
Pastor Roland C. Johannes,
Januar 2022