Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig – nicht um der Werke willen, die wir in Gerechtigkeit getan hätten, sondern nach seiner Barmherzigkeit – durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben seien nach der Hoffnung auf ewiges Leben.
Liebe Gemeinde,
wie ist Gott? Diese Frage begegnet uns immer wieder. Ist er ein alter, weißer Mann, mit langem Bart, der irgendwo in seinem Sessel auf einer Wolke sitzt? Ist er ein Mann, oder gar eine Frau? Sollte man ihn gar mit Gendersternchen schreiben? Passt er zu meinen Vorstellungen? Wie ist er so drauf?
Durchaus interessante Fragen! Wie ist Gott?
Vor einigen Jahren hat die amerikanische Zeitschrift „Time Magazine“ eine Umfrage veranstaltet, bei der US-Amerikaner befragt wurden, wie sie Gott einschätzen würden. Welche Charakteristiken, welche Eigenarten er ihrer Meinung nach besitzt.
Zuerst muss gesagt werden, dass fast 75% aller US-Amerikaner mehr oder weniger noch an den Gott der Christenheit glauben. Das ist ziemlich erstaunlich! In Europa sieht das schon ganz anders aus.
Die Frage war also: wie würden diese Leute Gott charakterisieren? Was sind seine Eigenschaften? Wie ist er? Wie ist er so drauf?
Und tatsächlich glauben -zumindest laut dieser besagten Studie- 65% aller Amerikaner, dass Gott vor allem ein beängstigender, ein wütender und zorniger Gott ist. Ein Gott, der die Menschen bestrafen will. Sie glauben, dass man vor Gott Angst haben sollte. 65% - ebenfalls erstaunlich!
Und ja, ihr Lieben, es ist wahr – Gott ist ein Gott, vor dem man Angst haben sollte. Es gibt dafür viele Beweise in der Bibel. Mose sagt zu Gott (2. Mose 32): „Ach HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk?“ Oder, im 4. Buch Mose, wo es heißt: „Da entbrannte des HERRN Zorn über Israel“; Auch in den Psalmen ist oft vom Zorn Gottes die Rede – so in Psalm 6:
„Ach Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn, und züchtige mich nicht in deinem Grimm“.
Und falls ihr nun denkt, dass das ja nur im Alten Testament der Fall ist, nein! Auch im Neuen Testament ist davon die Rede. So zum Beispiel in Hebräer 10, wo es heißt:
„Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“
Also ja, es stimmt – Gott ist ein Gott, vor dem man Angst haben sollte. Er hasst die Sünde und will, dass wir sein Gesetz ohne Fehl und Tadel einhalten. Er duldet es nicht, wenn wir andere Götter haben neben ihm. Er straft diejenigen, die ihn hassen. Alles in allem also doch eine ziemlich beängstigende Sache.
Aber, es gibt auch noch eine andere Seite. Der Apostel Paulus schreibt an seinen Schüler und Freund Titus:
„Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands…“ Freundlichkeit und Menschenliebe – das sind Eigenschaften, die wenig mit Zorn und Angst zu tun haben! Freundlichkeit und Menschenliebe – das sind Eigenschaften, die so gar nicht zu einem eifernden und verurteilenden Gott passen!
Martin Luther beschreibt dieses Phänomen folgendermaßen: Er sagt, dass Gott zwei Seiten hat, wie eine Münze. Auf der einen Seite gibt es den Deus Absconditus, den „verborgenen Gott“. Das ist der Gott, der für uns unerreichbar ist, den wir nicht verstehen können, vor dem wir Angst haben müssen. Es ist der Gott des Zorns, der uns gnadenlos richtet. Es ist der Gott, der sich im Gesetz zeigt – dort wo es nur Verzweiflung und Verurteilung geben kann, weil das Gesetz uns immer anklagt und wir vor ihm immer schuldig sein werden, egal was wir machen. Es ist der Gott über den der Prophet Jesaja sagt: „Fürwahr, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels.“ (Jes 45,15) Ein verborgener Gott, ein beängstigender, zorniger Gott, vor dem wir zurecht Angst haben müssen.
Aber, so sagt es Luther: diese Charakteristiken sind Gott eigentlich fremd. Diese grausamen Eigenschaften Gottes – Zorn und Grimm, Verurteilung und Verdammnis – sie sind nicht Gottes eigentliche Eigenschaften. Das ist nicht, wer er eigentlich ist! Sie sind nicht Gottes eigentliches Werk. Er ist nicht so, auch wenn sein Zorn trotzdem ganz real und echt ist.
Luther sagt - und jetzt kommt’s! - dass wir vor dem Deus Absconditus, vor diesem verborgenen Gott, fliehen müssen! Wir sollen vor diesem zornigen und beängstigenden Gott fliehen, hin zu dem Gott, der uns im Evangelium offenbart ist – der Deus Revelatus, der „offenbarte Gott“. Wir sollen zu diesem Gott fliehen, hin zu dem Gott der Gnade. Das ist, wer Gott eigentlich ist! Das ist sein eigentliches Werk! Das ist der Gott, von dem Paulus hier redet, wenn er sagt:
„Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands.“
Wir sollen fliehen, wir sollen wegrennen vom Gott des Zornes hin zum Gott der Freundlichkeit und Menschenliebe. Da sollst du hin!
Und wenn du nun rennst, dann renne zum Stall, zur Krippe. Da begegnet dir der Gott der Freundlichkeit und Menschenliebe – „er liegt dort elend, nackt und bloß in einem Krippelein.“ Muss man vor einem kleinen Kind Angst haben? Wohl kaum!
Ihr Lieben, kann es etwas Erstaunlicheres geben? Hier begegnet uns der Gott der Freundlichkeit und Menschenliebe, als kleines, hilfloses Kind.
Dieses kleine, hilflose Kind, das wir hier bestaunen, wird eines Tages gegen den verborgenen Gott antreten, gegen seinen Zorn und sein Gesetz. Dieses kleine Kind wird an deiner Stelle den Zorn Gottes abwenden, wird für dich die verborgene Seite Gottes auf sich nehmen, wird das Gesetz für dich einhalten und dir Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe zeigen.
Weil, ihr Lieben, ob wir es wollen oder nicht, der Zorn Gottes, diese verborgene Seite Gottes, sie bleibt! Gott hat seine Meinung über Sünde nicht geändert. Gott hat seine Meinung darüber nicht geändert, dass er es hasst, wenn wir seine Gebote übertreten. Gott hat seine Meinung darüber nicht geändert was er den Israeliten in 2. Mose 20 sagte: „Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen…“ Gott hat seine Meinung nicht geändert, wie Luther es im Kleinen Katechismus sagt:
„Gott droht zu strafen alle, die diese Gebote übertreten; darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorn und nicht gegen seine Gebote handeln.“
Gott hat seine Meinung nicht geändert – auch wenn die moderne Welt (und vor allem viele Kirchen in der heutigen Zeit) dir genau das so vorhalten wollen! Warum musste Jesus denn überhaupt sterben, wenn Sünde nicht mehr Sünde ist? Nein, Gott hat seine Meinung nicht geändert. Aber, er hat sein Verhalten geändert! Er zeigt sich dir von einer anderen Seite, von seiner eigentlichen Seite. Von der Seite der Freundlichkeit und der Menschenliebe.
Du hast Anteil an dieser Freundlichkeit und Menschenliebe. Du bekommst davon was ab. Gott hat dich nämlich in deiner Taufe zu seinem Kind gemacht; Er spricht dir hier am Altar die Vergebung deiner Sünden zu; Er teilt seine Liebe auf ganz persönlicher Art und Weise im Abendmahl mit dir; Das alles für dich!
„Damit wir, (so sagt Paulus uns das heute morgen) durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.“
Ihr Lieben, wir brauchen uns vor Gott nicht mehr zu fürchten! Er hat uns seine Freundlichkeit und Menschenliebe gezeigt. Er hat uns seine eigentliche Seite gezeigt. So ist Gott. Da habt ihr die Antwort!!
Ja, Gottes Zorn bleibt – 65% aller US-Amerikaner haben das richtig erkannt! Aber, sie haben nicht weit genug geblickt. Sie haben nicht nach Bethlehem geschaut, zu dem Kind in der Krippe. Das ist, wer Gott eigentlich ist! Das ist der Gott, der uns heute am Weihnachtsfest verkündet wird! Das ist der Gott, zu dem wir fliehen sollen! Und vor diesem Gott brauchen wir wahrlich keine Angst zu haben.
Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Pastor Roland C. Johannes,
Dezember 2021