Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, sie, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.
Ihr Lieben,
Nazareth, ausgerechnet Narareth! Noch mehr Kaff geht eigentlich kaum. Der Erzengel Gabriel kommt in das Kuhkaff Nazareth. Nicht, weil er da so gerne mal hinwollte, weil es da so viel zu sehen gab, sondern, weil Gott ihn hingeschickt hat. Gott will selbst Mensch werden. Das ist der Plan, den er gestrickt hat, um das Problem mit seinen Menschen und ihrer Beziehung zu ihm endlich zu lösen, denn alleine bekommen sie das nicht hin.
Und nun soll die zukünftige Mutter informiert und vorbereitet werden. Dazu kommt Gabriel also nach Nazareth, nicht nach Rom, nich nach Jerusalem, nicht nach Konstantinopel. Nazareth. Dass er das überhaupt gefunden hat, gleicht einem Wunder, denn Nazareth lag im Dunkeln. Kein Flughafen, keine Bahnhof, kein H&M oder Karstadt– kurz: ein richtiges Kaff. Nicht mal so wie wir in Rade ein Kino, McDonalds oder ein Krankenhaus. Ein kleines Dorf am Ende der Welt und dann links. Oder halt rechts, je nachdem, von wo man gerade kommt ;-)
Ihr Lieben, Gott kommt nach Nazareht, in den hinterletzten Winkel zu einem jüdischen Teenager. Gott schickt seinen Engel nicht in die großen Hauptstädte, wo die Politiker und Vorsitzenden die Fäden ziehen, wo es Kultur, Bildung und Reichtum gibt. Nicht in die Verwaltungsgebäude der Kirchenleitungen, zu den Pfarrern und Theologen. Gott will Mensch werden. Und er wählt dafür ein minderjähriges Mädchen aus, irgendwo in Israel.
So wie damals macht Gott es übrigens heute auch noch. Natürlich sind wir nicht Maria. Aber wir leben ja auch nicht gerade in einer Weltmetropole hier in Rade. Man kann ihr gut leben, aber weltpolitisch gesehen sind wir hier nicht unbedingt der Nabel der Welt. Gott kommt ins letzte Kaff nach Nazaret und ins nicht ganz so kaffige Rade auch. Er kommt – nicht nur zu den Reichen und Berühmten, zu den Schönen und Klugen. Nein er kommt in die letzten Ecken der Welt. Gott kommt zu dir und zu mir. Egal ob Schüler, Selbstständige, Mütter, Arbeitslose, Kranke, junge, Alte, Väter, Angestellte. Gott kommt zu uns in unsere bescheidenen Verhältnisse.
In Nazareth, da wohnte Maria und zu ihr geht Gabriel. Wahrscheinlich war es das Haus ihrer Eltern, denn Maria war minderjährig und noch nicht verheiratet. Sie war gerade glücklicherweise zuhause. Vielleicht kochte sie ja gerade oder träumte von ihrem Verlobten Joseph.
Da schiebt der Erzengel Gabriel den Sack von der Türöffnung beiseite, tritt ein und spricht Maria an.
Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir!
Maria kriegt erstmal einen Riesenschreck und möglicherweise denkt sie: Hä, wer ist das und wie redet der denn? Kann der nicht wie alle anderen auch „Hallo“ oder „Guten Abend“ sagen? Gabriel lässt sich nicht aus seinem Konzept bringen. Er beruhigt sie:
Fürchte dich nicht, Maria. Du hast Gnade bei Gott gefunden. Du wirst schwanger werden und einen Jungen kriegen. Dein Junge soll Jesus heißen. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden … und sein Reich wird kein Ende haben.
So redete der Engel - sehr fromm, sehr geistlich, sehr eng bezogen auf viele alttestamentliche Weissagungen. Und was macht Maria? Freut sie sich etwa oder ist sie ergriffen von so einer besonderen Ankündigung? Nö. Maria denkt nur an eins und fragt den Engel auch ganz direkt:
Wie soll ich bitteschön schwanger werden? Da gibt es keinen Mann mit dem ich … na, du weißt schon. Ich bin Jungfrau. Da war nichts!“
Maria kann zwar nicht lesen. Aber, dass es einen Mann braucht, damit sie schwanger werden kann, das ist ihr klar. Der Engel redet von der Königsherrschaft des Messias, von der ewigen Macht Gottes, vom Gottessohn, Davidssohn, Menschensohn, davon, dass Maria die Gottesgebärerin werden wird. Und was macht die? Sie fragt: Wo ist der Mann dafür? Maria hat keine erhebenden Gefühle, sondern sie ist verwirrt.
Gabriel lässt sich aber weiterhin nicht aus dem Konzept bringen. Er beantwortet höflich und hochtrabend ihre Frage, wer denn das Kind zeugen soll:
Der heilige Geist wird über dich kommen, wie ein Schatten kommt Gottes Kraft über dich.
Und diese Antwort ist nun so verblüffend, dass Maria gar nichts mehr sagt. Stille. Denn auch das weiß sie: Eine Frau wird nicht schwanger, wenn ein Schatten auf sie fällt. Egal, ob es der Schatten eines Mannes oder der Schatten Gottes ist.
Was für eine Geschichte! Unglaublich, aber wahr! Ein Engel Gottes kommt, um die Geburt des Heilandes anzukündigen und die Mutter, die später Gottes Sohn zur Welt bringen soll, ist verwirrt. Aber Gabriel verspricht es Maria, Maria, der Begnadeten.
Begnadet war Maria nicht, weil sie vielleicht eine ganz besondere Frau war und eine große Lebensleistung vorweisen konnte. Sondern begnadet war Maria einzig und allein, weil Gott nun einmal entschieden hat, sie zu erwählen. Gott kommt einfach in Marias Leben hinein, ohne dass sie sich darum bemüht hatte.
An Maria können wir sehen, wie Gott auch mit uns umgeht. Auch wenn die meisten von uns keine Teenager mehr sind, hat er auch in unserem Leben Unglaubliches getan. Er hat uns zu Menschen gemacht, die seine Kinder sind und für immer in seiner Gemeinschaft leben dürfen.
Und wie Maria haben wir nichts dazu beigetragen. Gott hat uns nicht ausgewählt, weil wir doch vergleichsweise anständige Leute sind und weil wir uns doch auch in Rade und in der Kirche so engagieren. Nein, dass er sich uns ausgesucht hat, um mit ihm für immer zusammen sein zu dürfen, hat nichts, aber auch nicht das Geringste mit dem zu tun, was wir haben oder wie anständig oder erfolgreich wir leben.
Im Gegenteil: Lange bevor wir überhaupt darüber nachdenken konnten welchen Lebensweg wir einschlagen, ist Gott einfach wie der Engel Gabriel in unser Leben eingetreten. Für die meisten war das bereits bevor sie selbst ja sagen konnte. In unserer Taufe hat er uns angesprochen: Maria, Claudia, Christiane du Begnadete! Karl-Emil, Hans, Hermann, du Begnadeter!
Begnadeter? Ja, genau das bist du! Du Bedgnadete, du Begnadeter, weißt du eigentlich, was du da in den nächsten Tagen ab Freitag feierst? Du feierst, dass deine Zukunft, deine Rettung, nicht davon abhängt, was du alles kannst, nicht davon, ob du beliebt oder besonders schlau bist, nicht davon, was du schon alles für deine Kirche getan hast. Nein, deine Rettung hängt allein an dem, was Gott für dich getan hat.
Du begnadeter Mensch, atme auf, du brauchst Gott nicht mehr zu beeindrucken. Du hast vor Gottes Augen Gnade gefunden. Er ist und bleibt mit dir – genau wie bei Maria damals auch. Gott sei Lob und Dank dafür. Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. AMEN.
Pastor Florian Reinecke,
November 2021