Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater. Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. Wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er solle wachen: so wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen, damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt. Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!
Liebe Gemeinde,
es gibt vieles, das ich als „Ausländer“ hier in Deutschland lieben und schätzen gelernt habe: die frischen Brötchen zum Frühstuck (wahlweise mit Nutella), der beginnende Frühling (und überhaupt die unterschiedlichen Jahreszeiten), das erstklassige kulturelle Leben, die wunderschönen und imposanten alten Kirchenbauten, die schiefen und krummen Fachwerkhäuser, die Sicherheit, in der man hier lebt, die Sauberkeit, usw. usf. …
Am allertollsten aber finde ich die Deutsche Bahn. Ja, es gibt sie noch: Menschen, die die Deutsche Bahn großartig finden! Ich werde es nie vergessen, als ich das erste Mal am Frankfurter Hauptbahnhof stand (das muss im Jahr 2000 gewesen sein) und den schier unübersichtlichen Fahrplan vor mir hatte: ich war begeistert! Das man überall einfach so hinkommt - bis ins letzte Kaff! (Nur nicht nach Radevormwald!). Aber dennoch: Dass alles so genau durchgeplant und alle Abfahrtszeiten minuziös aufgelistet waren… für einen Afrikaner unvorstellbar! Man weiß nicht nur, wann der Zug abfahren soll, man weiß sogar bis auf die Minute genau, wann er ankommt! (In Afrika freut man sich, wenn man überhaupt loskommt, geschweige denn zu wissen, wann man endlich am Ziel ankommt!**
Freilich hat sich das inzwischen hier geändert, das mit der Pünktlichkeit. Verspätungen, Zugausfälle, Ersatzzüge – das alles ist mittlerweile leider Teil des Alltags bei der Deutschen Bahn. Auch ich habe mich in letzter Zeit dabei erwischt, wie ich schimpfend und voller Ungeduld am Bahnsteig stand und an der Anzeigetafel lesen musste: „Verspätung“. Ganz schön nervig ist das. Der Zug soll ja kommen, laut Fahrplan schon seit einigen Minuten, aber er kommt einfach nicht. Die Ungeduld wächst und Frust kommt auf. Da wird der Spruch „denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist“ etwas zu lebensnah – man weiß tatsächlich nicht, wann und ob der Zug noch kommt!
Wie ist das bei uns mit dem Kommen Christi? Werden wir überhaupt noch ungeduldig, dass der Herr nicht wiederkommt? Rechnen wir überhaupt noch damit? Wie stehen wir am Gleis? Ungeduldig und wartend, oder gleichgültig und apathisch? Sind wir uns dessen noch bewusst und sehnen wir uns danach, dass der Herr wiederkommt? Oder ist es uns egal?
Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. Mit deutlichen Worten fordert Jesus auf: Wachet! Wachet, denn ihr wisst nicht! Freilich fällt das schwer, dieses Wachen. Bei einer Verspätung von knapp 2000 Jahren, da kann es schon mal vorkommen, dass man denkt, er komme gar nicht mehr!
Schon der Apostel Paulus hatte seine liebe Not, seinen Gemeinden das mit der Wiederkunft Christi zu erklären. Die jungen Christen damals waren ungeduldig geworden: eigentlich hatten sie Christus recht bald nach seiner Himmelfahrt wieder in ihrer Mitte erwartet. Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen Monaten, und aus Monaten schließlich jede Menge Jahre. Und er ist immer noch nicht da. Verständlich, wenn heute, nach so langer Zeit der eine oder die andere gar nicht mehr damit rechnet, dass er überhaupt noch kommt. Aus einer „Verspätung“ wird einfach ein „Ausfall.“
Vielleicht liegt das auch daran, dass es uns hier am Gleis eigentlich so ganz gut geht. Mein kleiner sprichwörtlicher Himmel auf Erden gefällt mir ganz gut so! Wenn der Herr jetzt kommen würde, wäre ich das alles, was ich mir so mühsam hier erarbeitet habe, los! Das passt mir ja gar nicht in den Kram. Es ist alles so schön gemütlich! Da ist es mir nur recht, wenn der Herr das mit seiner Wiederkunft noch ein bisschen hinausschiebt.
Die klaren Worte unseres Herren wecken uns aus diesem vermeintlichen Schlaf der Sicherheit auf: Wachet, denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt!
Zugegeben: Es ist einfacher, diesen Spruch zu beherzigen und sehnsüchtig der Wiederkunft unseres Herren entgegenzuschauen, wenn es uns schlecht geht. Ich habe damals im Studium vor manch einer Prüfung gedacht, dass es eigentlich sehr schön wäre, wenn genau jetzt die Letzte Posaune erklingen würde! So ziemlich genau vor dem ersten Theologische Examen – das wäre doch was!
Aber wenn’s gut geht, wenn alles einigermaßen nach Plan verläuft, wenn in meinem Leben alles mehr oder weniger im grünen Bereich ist, passt es mir dann noch in den Kram, das mit der Wiederkunft? Wachet, denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist!
Es fällt auf, dass Jesus nicht gebietet, sich dabei weltfluchtartig hinter Gitter zu verstecken. Er sagt nicht, dass wir ängstlich auf ihn warten sollen! Dass wir dabei nervös werden sollen. In Vers 34 heißt es vom Hausherrn, der auf Reisen ging: er gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit! Wir sollen nicht untätig auf den Herrn harren. Vielmehr sollen wir in Vollmacht die Arbeit ausführen, die er uns aufgetragen hat, bis dass er wiederkommt!
Das heißt so viel wie im ständigen Bereitschaftsdienst zu sein, rund um die Uhr! Das heißt, aufopferungsvoll unsere Zeit in den Dienst Gottes zu stellen – in der Gemeinde, im Jugendkreis, in der Bibelstunde, im Chor, auch wenn es mal nicht passt. Das heißt, aufopferungsvoll für unseren Nächsten da zu sein - nicht nur dann, wenn Zeit und Lust dazu da sind.
Das heißt aber vor allem, aufopferungsvoll unsere alltäglichen beruflichen Aufgaben gewissenhaft und zur Ehre Gottes auszuführen. Jesus fordert uns auf, den grauen Alltag anzupacken, uns an die Arbeit zu machen, tätig zu sein, geschäftig in dieser Welt zu arbeiten, bis er wiederkommt. Ängstlichkeit und halbherziges Warten sind da fehl am Platz.
Ihr Lieben, eines noch: Wachsamkeit heißt auch, dass wir unsere Augen nicht davor verschließen, dass wir eines Tages sterben müssen. Nicht nur die Stunde der Wiederkunft Christi ist ungewiss: nein, auch die Stunde unseres Todes ist nicht zu berechnen. Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist!
Wie steht es da um unsere innere Ausrichtung? Sehen bzw. sehnen wir diesem Tag entgegen, oder tun wir so, als gäbe es ihn nicht? Es tut gut, die Worte Jesu zu hören: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Das ist unser Trost: egal was kommt, egal wann es kommt, die Worte unseres Herrn bleiben. Die Worte des Herrn, die auch dir gelten: „Du bist mein getauftes Kind! Ich lasse dich nicht los! Auch im Tod nicht!“ Das ist gewiss! Das ist berechenbar! Das ist zuverlässig!
Als ich neulich am Bahnhof am Gleis stand und auf den (wieder einmal) verspäteten Zug wartete, fiel mir auf, dass die Menschen, die mit mir warteten, nicht einfach nur irgendwie herumstanden. Sie standen und schauten sehnsüchtig in die Richtung, aus der der Zug kommen sollte. Da war keiner, der verträumt und gleichgültig in die andere Richtung schaute. Sie standen alle und schauten in dieselbe Richtung. Ungeduld standen sie da und sahen ihm entgegen, konnten es kaum erwarten, dass er endlich erscheint! Sie waren ganz auf diesen Zug ausgerichtet.
Ihr Lieben, es lohnt sich, so auf die Wiederkunft Christi ausgerichtet zu sein: Voller Ungeduld, erwartungsvoll, hoffnungsvoll! Auch wenn auf Gottes Fahrplan keine Ankunftszeit steht, er kommt! Er kommt, um uns mitzunehmen aus dieser vermeintlichen Gemütlichkeit am Gleis, aus unserem „Himmel auf Erden“ in seinen ewigen Himmel. Ihm sei Dank in Ewigkeit!
Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. [Amen]
Pastor Roland C. Johannes,
November 2021