Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.
Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. Denn es steht geschrieben (Jes 45,23**: »So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.« So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben.
Liebe Gemeinde,
wir kennen das aus der Schule, dass wir beurteilt werden. Die Leistungen werden mit „sehr gut“ oder mit „gut“ oder „befriedigend“, manchmal auch mit „mangelhaft“ bewertet. Oder wie das bei uns in Südafrika war: A, B, C, D, oder schlimmstenfalls E.
Wenn ein Schüler nun meint, mit dem Schulabgang höre die Beurteilerei auf, dann irrt er sich gewaltig: Auch in der nachfolgenden Berufsausbildung kommen seine Leistungen ständig auf den Prüfstand. Und zum Abschluss gibt es dann das gewichtige Gesamturteil – die Gesellenprüfung, das Diplom, Bachelor oder Master.
Schluss ist dann aber immer noch nicht mit dem Beurteilt-Werden! Wir werden zum Beispiel in unserem Berufsleben täglich geprüft und beurteilt: von den Leuten, mit denen wir zu tun haben. Die geben zwar keine Zensuren, aber ihre Beurteilungen können weitreichendere Folgen haben als eine Zwei oder eine Vier auf dem Zeugnis. Oder wer Auto fahren will, muss sowohl sein Theorie-Wissen als auch seine praktischen Fahrkünste einer strengen Beurteilung unterwerfen. Wer dann den Führerschein hat, kann sich immer noch nicht zurücklehnen, denn sein Fahrverhalten wird weiterhin stichprobenweise überprüft und beurteilt. Es kann ihm auf der Autobahn passieren, dass er von der Polizei heimlich gefilmt wird. Dann winkt man ihn heraus und zeigt ihm das Video: Wie er zum Beispiel zu dicht auf den Vordermann aufgefahren ist, oder wie er die linke Spur blockiert hat, obwohl rechts frei war. Das Ganze endet dann meistens mit Strafzettel oder Anzeige.
Unser ganzes Leben lang werden wir in vielfacher Hinsicht geprüft und beurteilt.
Eine letzte und umfassende Beurteilung wartet am Ende des Lebens noch auf uns. „Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden.“ So schreibt es der Apostel Paulus. An vielen Stellen in der Bibel wird Gottes Gericht am Jüngsten Tage bezeugt.
Auch in den meisten anderen Religionen ist ein göttliches Gericht bekannt! Und für den Philosophen Immanuel Kant war Gottes endgültige Beurteilung unseres Lebens sogar das entscheidende Motiv dafür, sich gut zu verhalten! „Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden.“ Deswegen, so Kant, sollten wir uns zusammenreißen und versuchen, ein gutes Leben zu führen.
„Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden.“ Das wussten die Menschen zu allen Zeiten, und auch heute spürt es jeder in seinem Herzen (wenn er nicht sein Gewissen durch atheistisches Gedankengut abgetötet hat). Das Jüngste Gericht ist eine Tatsache, an der kein Mensch vorbei kann. Auch jeder einzelne von uns, die wir jetzt hier versammelt sind, wird einmal vor Gott stehen und sich verantworten müssen. Gott, der Richter, sitzt dann gleichsam auf dem erhöhten Podest des Richters, auf dem „Richterstuhl“, und wird uns unser gesamtes Leben offenbar machen. „Bücher werden aufgetan“, heißt es an anderer Stelle in der Bibel, und in diesen Büchern sind alle Taten der Menschen verzeichnet.
Wenn die Bibel heute neu geschrieben würde, stünde da vielleicht: „Videos werden vorgeführt“ – dein und mein Leben als Video, so wie es die Polizisten auf der Autobahn machen.
Nun ist das ja nicht gerade eine angenehme Tatsache. Wer wird schon gern geprüft? Wer wird schon gern beurteilt? Wer sieht schon gern Videos von sich selbst? Meistens ist das doch entsetzlich peinlich. Warum reibt Gott uns das immer wieder unter die Nase? Warum beunruhigt er uns immer wieder mit der Ankündigung seines Gerichts?
Ich erzähle euch mal, wie ich das ganz persönlich sehe. Wie ich das erlebe, wenn ich an Gottes Gericht und sein Richten über mein Leben denke:
I. Auf den ersten Blick, kann ich das Konzept gut verstehen und auch nachvollziehen. Es gibt einen guten und wichtigen Grund für Gottes Richten über mein Leben. Es ist der Grund, den Immanuel Kant so wichtig fand: Wenn ich an Gottes letzte Beurteilung denke, gebe ich mir auch Mühe, verantwortlich zu leben. Und zwar nicht nur kurzsichtig verantwortlich, sodass die Menschen in meiner Umgebung das gut finden, sondern langfristig und grundsätzlich verantwortlich, sodass es Gott gefällt und seinen Geboten entspricht.
II. Auf den zweiten Blick bin ich dann aber versucht, das Thema abzuhaken und zu sagen: „Ich lebe ja rechtschaffen, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Und Gott kann mir auch nichts vorwerfen. Ich kann aufrechten Hauptes vor Gottes Richterstuhl treten und brauche mich nicht zu schämen für das, was auf meinem Lebensvideo aufgezeichnet ist.“
Wirklich? Ihr Lieben, das ist die Haltung des Pharisäers. Es ist eine Haltung, die heuchelt. Die sich selbst und anderen etwas vormacht. Ich würde mich ja tatsächlich schämen, wenn mein Lebensvideo hier im Corso-Kino vorgeführt wird, geschweige denn vor Gottes Richterstuhl am Jüngsten Tag. Ja, ich soll rechtschaffen leben. Vielleicht habe ich es auch versucht. Aber ich merke immer wieder, dass es nicht reicht.
III. Und so macht mir auf den dritten Blick der Gedanke an Gottes Beurteilung, an seinem Gericht über mein Leben wieder Angst.
Doch dann höre ich den Apostel Paulus, wie er sagt: „Wir werden alle vor den Richterstuhl gestalt werden.“ Und es fällt mir wie Schuppen von den Augen: Derjenige, der Richtet, ist Gott selbst! Ich kenne den Richter! Ja vielmehr noch: Der Richter kennt mich! Der Richter hat in meiner Taufe alles getan, damit ich gerettet bin, damit ich zu ihm gehöre! Hat mir meine Sünden vergeben, hat mich bei meinem Namen gerufen! Er hat seinen Sohn für mich ans Kreuz geschickt! Da sitzt nicht irgendein unberechenbarer Beamter da oben, sondern Gott selbst!
Und er wird auf seinem Richtertisch noch ein anderes Buch liegen haben, von dem die Bibel berichtet: „das Buch des Lebens!“ Darin sind alle Menschen verzeichnet, die durch Taufe und Glauben zu ihm gehören. Da steht mein Name auch drin! Selbst, wenn mein ganzes Lebensvideo nur Mist zeigt, selbst wenn ich hoffnungslos kläglich gescheitert und tief in Sünde verstrickt bin – ich erhalte den Lohn des ewigen Lebens, aus Gnaden allein.
Der Richter ist auch mein Retter – welch großes Glück! Ich atme auf.
IV. Und das macht mir Mut, noch einen vierten Blick auf das Jüngste Gericht zu werfen: Solange ich noch lebe, solange ich noch Zeit habe, werde ich alles dransetzen, Versäumtes nachzuholen und noch viele Dinge zu tun, die dem Herrn Jesus Christus Freude machen. Der Blick auf das Gericht lehrt mich: Auch wenn ich allein durch den Glauben gerecht werde, so ist es Gott doch keineswegs egal, wie ich lebe. Ich soll mir die Mühe machen, Gutes und Böses zu bewerten. Bis es soweit ist, dass ich vor Gottes Richterstuhl stehe, setze ich meine ganze Ehre darein, ihm zur Ehre zu leben. Nicht damit ich gerettet werden, sondern weil ich gerettet bin! Nicht damit ich einen gnädigen Gott bekomme, sondern weil ich einen gnädigen Gott habe!
Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. [Amen]
Pastor Roland C. Johannes,
November 2021