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Predigt zum Reformationsfest

veröffentlicht am: 31.10.2021 by at https://selk-radevormwald.de/posts/20211031-predigt/

Liebe Gemeinde,

„es reicht!“

Wenn jemand diesen Satz so ausspricht, dann will er damit zum Ausdruck bringen, dass er genug hat. Dass das Maß voll ist. Dass er die Schnauze gestrichen voll hat. Es gibt viele Situationen im Leben, in denen wir diesen Satz so aussprechen könnten. Von leicht genervt bis regelrecht wütend: „Es reicht!“

„Es reicht“ bedeutet aber auch, dass etwas - im positiven Sinne - ausreicht, dass es genügt, dass es zufrieden stellt und nicht mehr braucht. Es reicht! Es ist gut so!

So schreibt der Apostel Paulus das zum Beispiel auch an die Galater. Er sagt: Es reicht! Der Glaube reicht! Der Glaube genügt, es braucht nicht mehr, um selig zu werden. Vor Gott ist das genug.

Ihr Lieben, diese Aussage, dass der Glaube ausreicht, wurde immer wieder angezweifelt. So zum Beispiel eben bei den Galatern, bei der urchristlichen Gemeinde in Galatien. Diese Gemeinde setzt sich ursprünglich aus Heidenchristen zusammen. Männer, Frauen und Kinder, die ganz frei von der jüdischen Tradition sind und früher anderen Göttern folgte. Durch Taufe und Glaube gehören sie jetzt zu Jesus.

Doch eines Tages kommen Judenchristen in die Gemeinde und stiften Unruhe. Sie sagen: „Der Glaube an Christus reicht nicht, um Kind Gottes zu sein. Kind Gottes wird man nur, wenn man auch zum Volk Israel gehört. Und wie wird man Mitglied im Volk Israel? Richtig: durch Beschneidung. Ist vielleicht unangenehm, aber dadurch bekommt eure Beziehung zu Gott nochmal eine ganz andere Dimension. Denn ihr werdet in den Bund Gottes mit seinem Volk aufgenommen!“

Als Paulus das hört, wird er wütend! Und er schreibt im 5. Kapitel seines Briefes – dem heutigen Predigttext zum Reformationstag – folgende Zeilen:

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, aus der Gnade seid ihr herausgefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die wir hoffen. Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

Es reicht! Der Glaube reicht! Als überzeugter Lutheraner ist dieser Satz mir zutiefst vertraut, er lässt sich voller Gewissheit und mit einer gewissem Leichtigkeit aussprechen.

Dennoch frage ich mich: Warum verunsichert die Forderung der Judenchristen nach Beschneidung eigentlich die Gemeinde in Galatien? Weil man sich seiner Erlösung vielleicht doch nicht so ganz sicher ist? Wer sagt denn, dass der Glaube wirklich reicht? Was reicht denn überhaupt?

Meint ihr wirklich, es reicht, was ihr tut? So haben die Unruhestifter die Galater gefragt. Was reicht? Was reicht, wirklich frei von der Angst zu werden, nicht zu genügen?

Ich denke da an einen jungen Mann, der sein Jurastudium abgebrochen hat und ins Kloster eingetreten ist. Er glaubte, sein Leben (Studium, später dann Karriere, Geld und Ansehen) reicht vor Gott nicht. Darum tritt er ins Kloster ein, steigt aus dem Leben aus. Nimmt das Klosterleben sehr ernst. Das Beten und Fasten. Tut alles was er kann, ein frommes Leben zu führen.

Dennoch geht diese Frage nicht weg: Was reicht? Reicht es, als Mönch zu leben? Asketisch, ohne Frau und Kinder? Ohne Besitz? Reicht es, sechs Stunden beten am Tag und einmal wöchentlich fasten? Oder sollte ich besser acht Stunden am Tag beten und zwei Fastentage die Woche halten? Wie bekomme ich einen Gott, dem ich genüge? Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?

Der Mann hieß Martin Luther. Und seine Fragen sind nicht abwegig. Wir haben sie auch. Was reicht bei uns heute? Beten soll ich – reicht einmal täglich? Die Bibel lesen soll ich – reicht einmal wöchentlich im Gottesdienst? Oder nur ein kurzer Vers pro Tag? Oder vielleicht doch mehr? Meinen Nächsten soll ich lieben – reicht ein freundliches Wort am Gartenzaun? Die Schöpfung soll ich bewahren – reicht es, wenn ich ab und zu das Fahrrad nehme anstelle des Autos?

Was reicht? Mich berührt diese Frage übrigens auch in meinem Beruf als Pastor. Ich frage mich: Reicht das eigentlich, was ich für diese Gemeinde bin? Setze ich die richtigen Impulse, habe ich mein Ohr bei den Menschen, sage ich das rechte Wort zur rechten Zeit?

„Es reicht!“ ruft Paulus dazwischen! (Übrigens genervt, ja sogar verärgert!) „Es reicht!“ “Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ Jesus reicht für unser Leben. Und es reicht das, was er für uns getan hat. Zum Glück: Von Gott aus betrachtet bleibe ich doch immer hinter seinen Ansprüchen her! Ganz so leben, wie Gott es will, krieg ich nur ansatzweise hin! Die Liebe zu Gott und anderen gegenüber bleibe ich immer schuldig! Martin Luther war nicht der erste Mensch, der das erkannt hat, er war als längst nicht der letzte! Wir merken es doch immer und immer wieder: Ich reiche eben nicht aus! Die Frage geht nicht weg. Nein, sie wird nur noch lauter, wie Luther das im Kloster erlebt hat.

Jesus ist das Ende meiner aussichtslosen Anstrengungen, vor Gott zu genügen. Seine Tat brauche ich mir nur gefallen lassen. Mit anderen Worten: Ich darf glauben. Und das reicht!

Der Apostel Paulus hält den Glauben hoch. Doch der Glaube an Christus steht im Gegensatz zur Beschneidung. Denn wer sich beschneiden lässt, der setzt sein Vertrauen anderswo. Der muss auch das ganze Gesetz erfüllen. Gottes Gnade kann man dann nicht in Anspruch nehmen.

Was bedeutet das für uns?

Ihr Lieben, in unseren Herzen ist das Gefühl tief verankert, nichts geschenkt zu bekommen. Für alles muss man kämpfen. Nichts gibt es umsonst. Es steckt die Frage dahinter, ob es reicht, was wir bringen. Das ist Gefangenschaft! Sich nicht sicher zu sein. Nicht zu wissen, ob Gott uns liebt und uns annimmt, mit allen unseren Macken und unseren Zweifeln und den inneren Abgründen. Sich immer zu bemühen, damit es reicht, damit ich Gott genüge. Das ist nichts anderes als „sich beschneiden lassen.“ Das ist ein Gefängnis. Das ist dem Gesetz folgen und nicht der Gnade vertrauen.

In unserer leistungsorientierten Gesellschaft lässt man nicht zu, dass einer sagt: Es reicht! Es ist genug! Es scheint gegen die Regeln zu sein, sich etwas schenken zu lassen. Viele Mensch – und ich rechne mich mit dazu – haben Taschenrechner in ihrem Herzen und rechnen zusammen. Doch nie – niemals! – steht da das Ergebnis: Es reicht! Damit lasse ich mich gefangen nehmen.

Und das verflixte daran: Ich rechne ja nicht nur bei mir. Reiche ich? Genüge ich? Bin ich gut genug? Ich schaue die anderen auch so an. Ich rechne auch bei anderen…

Merkt ihr die Herzensbewegung? Wie wir uns und andere mit den Gesetzesaugen taxieren? Jesus will uns davon frei machen. Und er hat es schon getan, sagt Paulus. In diese Wahrheit darf ich mich hineinstellen. Er will mich in seine Gnade hineinziehen. Er will mich mit seiner Macht stärken gegen Mächte, die meine Seele gefangen halten. Es tut gut, wenn ich den Ruf Jesu höre: Es reicht! Du bist frei!

Diese Erkenntnis hat Martin Luther erlangt. Diese Erkenntnis wird auch uns mitgeteilt. Ich schließe mit einem Lutherzitat: „Glaube ist eine lebendige, verwegene, mutige Zuversicht auf Gottes Gnade, gewiss, dass er tausendmal dafür sterben würde. Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, mutig und voll Lust zu Gott und allen Kreaturen. Das wirkt der Heilige Geist im Glauben.“

Es reicht!

Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. [Amen]

Pastor Roland C. Johannes,
Oktober 2021

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