Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und zu Tische dienen. Darum, liebe Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Geistes und Weisheit sind, die wollen wir bestellen zu diesem Dienst. Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.
Liebe Gemeinde, ganz besonders ihr lieben Kirchenvorsteher und Kirchenvorsteherinnen der Martini-Gemeinde!
Kennt ihr das, wenn man mit den vielen Aufgaben und Verpflichtungen im Leben nicht zurechtkommt? Wenn man mit den Terminen überfordert ist, die To-do-Liste immer länger wird und man nach und nach die eigentlich wichtigen Dinge vernachlässigt?
Ich wünsche mir oft in solchen Situationen, dass ich Verantwortung und Aufgaben abgeben könnte. Damit ich meinen Verpflichtungen im Alltag, in der Familie und im Beruf wieder gerecht werden kann und für die wirklich wichtigen Dinge Zeit habe.
In der Urgemeinde, der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem vor 2000 Jahren, war es ähnlich. Die Gemeinde wächst, die Aufgaben auch – und die Apostel sind überfordert! Sie vernachlässigen notgedrungen ihre zentralen Aufgaben, weil alles zu viel wird. Die Apostel waren eigentlich als Hirten der Gemeinde eingesetzt. Sie sollten sich um die geistlichen Angelegenheiten kümmern – oder wie es in der Apostelgeschichte heißt: „um das Gebet und den Dienst des Wortes.“ Aber dafür haben sie immer weniger Zeit, weil andere Aufgaben dazwischenkommen.
Wie so oft, führt das im Leben zu Spannungen und Enttäuschungen. Die Gemeinde erwartet von ihren Hirten Predigt, Sakramentsverwaltung, Gebet, geistliche Zuwendung! Stattdessen sind die Hirten am Schreibtisch gefesselt und müssen sich um quasi weltliche Dinge kümmern. Verwaltungsaufgaben verdrängen die geistlichen Kernaufgaben.
Ihr Lieben, dass es in der heutigen Zeit oftmals nicht anders aussieht, dürfte bekannt sein. Wir hatten gestern hier in Radevormwald die jährliche Kirchenbezirkssynode, und dabei wurde immer wieder und unmissverständlich klar, dass es in Zukunft immer weniger Pfarrstellen geben wird. Gemeinden werden sich zusammentun müssen, die Pastoren werden vielerorts nur zum Gottesdienst angereist kommen. Von der Idee, dass jede Gemeinde einen Pastor ganz selbstverständlich vor Ort hat, von dieser Idee werden wir uns allmählich verabschieden müssen.
Dabei wird die zentrale Frage zu stellen sein: Was sind denn die Kernaufgaben der Pastoren? Was müssen sie unbedingt verrichten? Und was gibt es, dass vielleicht auf andere Schultern verteilt werden kann?
Die Urgemeinde macht es uns vor. Ganz pragmatisch. Die Apostel benennen das Problem recht deutlich: Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und zu Tische dienen. Mit anderen Worten: Es ist nicht recht, dass wir unsere geistlichen Kernaufgaben vernachlässigen, weil wir z.B. ganz konkret in diesem Falle bei der Armen- und Witwenspeisung täglich das Essen vorbereiten und servieren müssen!
So kommt es zu einer Teilung der „Ämter“ in der Gemeinde: es sollen Leute eingesetzt werden, die sich z.B. um die Betreuung der Bedürftigen kümmern. Dadurch werden die Apostel frei für ihre eigentlichen Aufgaben, nämlich für den Dienst am Wort und für das Gebet.
Ihr Lieben, Pfarrer können nicht alles machen! Sie können nicht alle Aufgaben und alle Bereiche in der Gemeinde abdecken! Sie brauchen dazu Hilfe.
Genau das machen wir ja heute auch, indem wir – wie damals vor 2000 Jahren – Menschen einsetzen, die sich um die Gemeinde kümmern sollen. Ihr Lieben Kirchenvorsteher und Kirchenvorsteherinnen: bedenkt dabei, dass diese Menschen nicht eingesetzt wurden, um zu herrschen, um zu bestimmen, um Beschlüsse zu fassen und quasi als Aufsichtsrat zu fungieren. Nein, sie wurden eingesetzt, um in der Gemeinde tätig zu werden. Sich die Hände schmutzig zu machen.
Oder wie ihr es gleich bei der Einführung hören werdet (ich zitiere): „Ihr seid Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Pfarrers und sollt ihn in seinem Dienst unterstützen durch euer Gebet, euren Rat und euren Einsatz zur Erfüllung der gemeindlichen Aufgaben.“ Und wenig später werdet ihr dann gefragt: „Seid ihr bereit, den Dienst […] in Treue auszuüben, Verantwortung zu übernehmen für den Gottesdienst, für diakonische und missionarische Aufgaben sowie für Lehre, Leben und Ordnung der Kirche und in der Nachfolge eures Herrn zu leben, so sprecht: Ja, mit Gottes Hilfe“.
Spätestens jetzt sollte klar sein, dass es sich hier nicht um eine Zwei-Klassen-Gesellschaft handelt. Als ob die Pastoren die „höheren“ Aufgaben zu erfüllen hätten, während die anderen (sprich der Kirchenvorstand) die „niederen“ Aufgaben erledigen sollen. Nein. Nochmal aus der Apostelgeschichte: Es sollen Menschen gefunden werden, die (und jetzt kommt’s! einen guten Ruf haben und voll Geistes und Weisheit sind.
Auch der „Tischdienst“ ist ein geistliches Amt. Es ist keine bloße Verwaltungsaufgabe. Und so werden wir gleich für euch beten. Für und mit euch um den Heiligen Geist bitten. Euch Gottes Segen zusprechen. Weil eure Aufgaben wichtig sind.
Es ist – diese Randbemerkung sei mir erlaubt – nicht der Fall, dass man dem Herrn nur dienen kann, wenn man auf der Kanzel steht. Die Möglichkeiten dazu sind vielfältig!
Wie sieht es bei dir aus, liebe Gemeinde, lieber Bruder, liebe Schwester? Hast du Talente und Zeit dich in den Dienst Gottes rufen zu lassen? Heute, mehr als je zuvor, sind wir alle aufgefordert anzupacken. Die Aufgaben müssen verteilt werden, damit Gemeinde leben und überleben kann. Dazu musst du nicht unbedingt auf der Kanzel stehen oder gar im Kirchenvorstand dienen. Wie gesagt: Die Möglichkeiten dazu sind vielfältig.
Möge Gott uns allen die Augen öffnen, damit wir sehen und erkennen, wo wir uns einbringen können. Möge Gott uns seinen Geist schenken, damit wir die Kraft und den Mut bekommen, die Arbeit in der Gemeinde anzupacken. Damit wir gemeinsam Gemeinde gestalten.
Amen.
Pastor Roland C. Johannes,
August 2021