Selbständige Evangelisch-Lutherische Martini-Gemeinde Radevormwald
Gottesdienste Gemeindebrief Archiv Kontakt Wir über uns

Predigt zum 12. Sonntag nach Trinitatis mit Audiodatei

veröffentlicht am: 21.8.2021 by at https://selk-radevormwald.de/posts/20210822-predigt/

Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Lukas 18, 9-14

Liebe Gemeinde,

dieses Bibelwort von heute klingt nach einer sehr eindeutigen Sache. Ganz schnell können wir den Guten und den Bösen identifizieren. Schon bevor Jesus das Urteil spricht ist klar was kommen muss: Der selbstgerechte Pharisäer und der reuige Zöllner bekommen offensichtlich ihren gerechten Lohn für ihr Gebet. So einfach wie es hier scheint ist es aber nicht.

In meinem Kopf – und deshalb kann ich mir vorstellen, dass es bei euch nicht anders ist – in meinem Kopf da hat sich schon früh die Meinung eingenistet, dass die Pharisäer irgendwie immer die Bösen sind. Auf jeden Fall sind es diejenigen, die Jesus regelmäßig aufs Glatteis führen wollen und von ihm in gleicher Regelmäßigkeit “abgekanzelt” werden.

Sie haben ihre feste Schublade in meinem Kopf zugewiesen bekommen und immer wenn ich sie einmal da heraushole, dann stelle ich wieder fest, dahinein müssen sie auch wieder zurück, denn da passen sie hervorragend rein. Aber ganz so einfach ist das nicht. Wenn ich so denke und die Pharisäer in ihre Schublade stecke, dann tue ich den Pharisäern Unrecht. Denn die Pharisäer meinten es gut. Sie meinten es gut nicht bloß mit sich selbst.

Die Pharisäer waren zur Zeit Jesu eine Glaubensbewegung, die zu der Überzeugung gekommen war, dass, wenn alle Juden einen Tag lang alle Gebote der Tora halten, dann würde der Messias kommen und das Reich Gottes anbrechen. Also legten sie allergrößten Wert darauf die Gebote einzuhalten und taten das sogar ganz mutig in der Öffentlichkeit, um ihre Mitmenschen anzuspornen es ihnen gleichzutun. Sie taten sogar freiwillig mehr um die Schuld der Gottlosen auch wieder gut zu machen. Mir scheint fast, dass Gott sich darüber freuen müsste über das, was diese Pharisäer damals wollten und taten.

Ganz anders sieht das mit den Zöllnern aus. Zöllner hatten schon damals einen schlechten Ruf. Sie galten als Halsabschneider und Abzocker. Und ihr regelmäßiger Umgang mit den römischen Besatzern machte sie nicht bloß moralisch fragwürdig, sondern auch kultisch. Denn unter den Juden galt: dass der Umgang mit Nichtjuden, in ihren Augen Unreinen, sie selbst unrein macht.

Unreinheit ist ansteckend und die Zöllner steckten sich andauern an durch ihre Arbeit mit den unterschiedlichsten Menschen unterschiedlicher Kulturen. Und der Zöllner, der uns hier von Jesus vor Augen gemalt wird, der soll uns auch genau das darstellen. Einen, der in seinem Leben und Arbeiten vor Gott nicht bestehen könnte.

Aus diesem Blickwinkel würde mein Urteil über die beiden auf jeden Fall anders ausfallen, als das Urteil, was Jesus in seinem Gleichnis fällt. Aber genau das ist in meinen Augen schon das wichtigste, was Jesus uns mit seinem Gleichnis hier nahebringt: Wir können den Menschen nicht von außen ansehen, ob er dem Urteil Gottes am Ende standhält. Wir haben so unsere Vorstellungen, unsere Meinungen von Menschen, wir haben sie schon in ihre Schubladen verstaut und meinen zu wissen, was ihnen am Ende blüht, wenn sie so weitermachen. Aber so ist es nicht. Und noch viel schlimmer ist, dass unser Bild von unseren Mitmenschen sie auch immer ein wenig mehr zu denen macht, für die wir sie halten.

Um das einmal an einem Beispiel deutlich zu machen: Wer Außenseiter in einer Gruppe ist, der ist das nicht aufgrund seiner Eigenschaften. Nein er wird zum Außenseiter, weil die Gruppe ihn dazu macht. Weil er nicht in die Normalvorstellung dieser Gruppe passt. Weil er auf irgendeine Weise anders ist. Und weil alle ihn als anders ansehen, fühlt er sich auch so und erfüllt diese Rolle, die von außen an ihn herangetragen wird.

Zurück zum Gleichnis. Der Pharisäer und der Zöllner gehen gemeinsam hinauf zum Tempel, um zu beten. Sie beide gehen hinauf mit ihren so grundsätzlich unterschiedlichen Leben und Haltungen. Und diese Unterschiede werden auch in Form und Inhalt der Gebete deutlich.

Hier der Pharisäer, der fest steht und viele Worte macht und da der Zöllner, der sich gar nicht traut näher zu kommen, der weit ab steht und seinen Blick gar nicht aufzurichten wagt und nur wenige Worte sagt. Hier der selbstbewusste Pharisäer, der wohlgeformte fromme Worte betet, Gott dafür dankt, der zu sein, der er ist. Und der Gott aufzählt, wie viel mehr er noch macht und gibt, als das Gesetz von ihm fordert:

Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.

Und da der Zöllner, der nicht einmal eigene Worte hat, sondern Worte der Psalmbeter leiht:

Gott, sei mir Sünder gnädig.

Und am Ende sind all die schönen und frommen Worte des Pharisäers nichts wert. Sie helfen ihm nicht dabei vor Gott bestehen zu können, wie uns das Urteil Jesu sagt.

Mit den beiden Personen, die Jesus uns da vor Augen gemalt hat, lädt er uns ein uns in der einen oder der anderen wiederzuerkennen. Er lädt uns ein uns als Pharisäer oder als Zöllner zu sehen. Wie gern wäre ich immer der Zöllner und wäre vor Gott gerecht durch meine Selbsterkenntnis. Aber oft bin ich, sind wir Menschen doch eher Pharisäer.

Erst kürzlich habe ich wieder erlebt, wie menschlich doch diese Haltung des Pharisäers ist. Dieses Vergleichen, ein ins Verhältnis zu anderen setzen. Oft endet es damit, dass ich feststelle, naja, so schlecht steht es mit mir ja gar nicht. Wenn ich mir die anderen ansehe, die sind schlimmer als ich. Da gibt es zum Beispiel einige Politiker, die vor den Wahlen viel versprechen und hinterher, wenn sie darauf angesprochen werden, oftmals so tun, als wären ihnen genau diese Versprechen unbekannt. Aber so etwas, das würde ich nicht tun, ich stehe zu meinem Wort. Und schwupps, ehe wir uns versehen sind wir schon drin in dieser Rolle.

Wir sehen das Fehlverhalten anderer und daran gemessen fühlen wir uns ganz wie von selbst etwas besser. So wie die anderen, so sind wir nicht. Anständig sind wir. Naja, wir machen auch nicht alles richtig, aber durchaus mehr als dieser oder jene.

Und dann ist da dieser Zöllner mit seinem Gebet. Ein wenig wirkt es so als seien seine Worte eine wirkgewaltige Formel. Geliehene Worte, die ihm dazu verhelfen von Gott angenommen zu werden. Es sind Worte, die auch wir Sonntag für Sonntag hören.

Vor dem kurzen Sündenbekenntnis nach dem Eingangsgebet werden sie laut. Auch heute sind sie wieder zu Ohren gekommen. Wir stellen uns damit sozusagen in die Schuhe des Zöllners und bitten dann: Der Allmächtige Gott erbarme sich unser, er vergebe uns unsere Sünde und führe uns zum ewigen Leben.

Aber sollte jetzt der Eindruck entstehen, dass es dieses kurze Gebet oder diese oder die dann folgenden Worte sind, die uns gerecht machen, so nach dem Motto: Du musst lediglich wie der Zöllner vor Gott treten, deinen Kopf senken und demütig bitten: Gott sei mir Sünder gnädig. Nein, so ist das nicht.

Jesus gibt uns mit diesem Gleichnis keine Betanleitung, keine Gerechtmachungsformel an die Hand. Er führt uns eine Haltung vor Augen, die Gott mit Wohlwollen ansieht.

Der Zöllner weiß darum, dass er mit dem was er in seinem Leben getan hat eigentlich keinen Grund der Hoffnung hat um vor Gottes Urteil bestehen zu können und kommt genau so vor Gott und bekennt diesen seinen Zustand.

Ich weiß nicht ob der Zöllner das schon erkannt hat, bevor er auf den Tempelberg hinaufgegangen ist. Ich bin mir aber sicher, dass es die Gegenwart Gottes gewesen ist, vielleicht sogar im prachtvollen Tempel, die dem Zöllner vor Augen geführt hat, wie verloren er vor Gott eigentlich ist. Und als er das erkennt, kommen ihm die alten Worte des Psalmbeters in den Sinn und über die Zunge: Gott sei mir Sünder gnädig.

Und Gott ist ihm gnädig. Nicht weil er dieses oder jenes besser gemacht hat als andere, diese oder jene Worte benutzt hat, sondern weil er vor Gott entdeckt, dass er nichts tun kann, damit Gott ihn annimmt. Es kommt allein auf Gottes Gnade an. Und die kann er und die können auch wir uns nicht verdienen.

Das ist der Knackpunkt bei den Pharisäern gewesen. Es war zwar bewundernswert, wie viel sie dafür getan und geben haben um Gottes Willen zu tun. Aber sie glaubten, sie könnten damit vor Gott besser da stehen als andere und hatten ein Gefühl der Überlegenheit.

Aber egal wie viel Gutes sie getan haben, egal was sie auch besser gemacht haben als alle anderen. Am Ende sind auch sie genauso wie wir angewiesen auf die Gnade Gottes, die sich nicht herbeizwingen lässt durch die Einhaltung sämtlicher Gebote, sondern die ausschließlich Gottes Geschenk an uns ist. Ein Geschenk an dich und mich. Und dieses Geschenk macht dich frei. Das macht dich frei davon dich vergleichen und den Vergleichen standhalten zu müssen. Das macht dich frei davon besser sein zu müssen als andere. Das macht dich frei davon deine Mitmenschen und ihr Handeln danach zu bewerten ob es nun vor Gott gut oder schlecht ist, denn das allein ist alles seine Sache.

Und dieses Geschenk macht dich und mich frei dazu immer seltener wie dieser selbstgerechte Pharisäer zu sein und immer öfter wie der gerechte Zöllner. Gott sei Lob und Dank dafür. Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. AMEN.

Pastor Florian Reinecke,
August 2021

Your browser does not support the audio tag.

Download der Audiodatei

Die Martini-Gemeinde in Radevormwald ist eine Kirchengemeinde in der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche SELK in Deutschland.

Mehr über uns / Impressum / DSGVO

Story logo

© 2025