Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sach 9,9**: »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.« Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf und er setzte sich darauf. Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und fragte: Wer ist der? Die Menge aber sprach: Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa.
„Wo ist Gott?“
Ihr Lieben,
in der kommenden Passionszeit werde ich diese Frage als Überschrift für die Predigten verwenden. „Wo ist Gott?“ Eine Frage, die hochaktuell erscheint. Gestern war hier in der Reformierten Kirche am Markt noch einmal Gelegenheit, sich von den Opfern der Gewalttat am Freitag vor einer Woche zu verabschieden. Ich stand vorn in der Kirche und war als Geistlicher ansprechbar. Kam eine ältere Dame auf mich zu, nachdem sie eine Kerze angezündet hatte, schaut mir in die Augen und stellt vorwurfsvoll genau diese Frage: „Wo ist Gott?“
Ihr könnt euch denken, dass das nicht ganz einfach zu beantworten ist, vor allem nicht in solch einer Situation. Wo ist Gott? Wenn wir all das betrachten, was sich in dieser Welt an Hass, an Gewalt, an Traurigkeit und Leid abspielt, da ist das irgendwie eine berechtigte Frage, oder? Wo ist Gott? Warum lässt er das zu?
Wo ist Gott? Vielleicht müssen wir unseren Blick ändern. Vielleicht müssen wir mal genauer hinschauen. Anders hinschauen. Genau das wollen wir in diesen Passionspredigten machen. Genau dafür soll unser Blick geschärft und unsere Augen geöffnet werden. Wo ist Gott? Auf einem Esel! Wir lesen heut morgen in Matthäus 21 vom Einzug in Jerusalem und dort ist Gott tatsächlich zu finden, auf einem Esel.
Das klingt unspektakulär und vielleicht auch ein bisschen absurd, oder? Gott auf einem Esel? Genau! Und das ist hier der Punkt! Dort, wo Gott in Erscheinung tritt, da ist es oft eben nicht so, wie wir es erwarten würden. Da, wo Gott zu uns kommt, da kommt er ganz menschlich, ganz bescheiden, ganz nah, vielleicht auch ein wenig verborgen. Er kommt als einer von uns. Er wird in einem Stall geboren, nicht im Palast. Er lebt in Nazareth, nicht in Rom. Er verbringt seine Zeit mit Zöllnern und Sündern, nicht mit Promis und Königen. Und er zieht in Jerusalem ein, nicht auf einem schnellen und starken Ross, nicht in einem königlichen Wagen, sondern auf einem Esel – bescheiden und demütig.
Genau so möchte Gott zu uns kommen. Genau so möchte Gott bei uns sein. Wo ist Gott? Warum tritt er nicht mit Macht auf und verhindert Leid und Traurigkeit? Warum hat er die Gewalttat am Freitag vor einer Woche nicht verhindert? Warum lässt er zu, dass ein Virus so viel Schaden anrichtet? Warum greift er nicht ein?
Ihr Lieben, der Esel trägt Jesus nicht zum Palast, sondern ans Kreuz. Das ist unverständlich, wie so vieles in diesen Tagen. Am Jüngsten Tag, da wird Gott in Macht erscheinen, klar! Aber bis dahin kommt er auf einem Esel. Bis dahin wird er verborgen und verhüllt bei und unter uns sein. Bis dahin werden wir ihn dort suchen müssen, wo es eher bescheiden und unspektakulär anmutet. Ja, wo es vielleicht sogar unlogisch erscheint. In seinem einfachen Wort, im Wasser der Taufe, im Zuspruch der Vergebung in der Beichte, in Brot und Wein im Heiligen Sakrament.
Vielleicht magst du das grad nicht gern hören. Vielleicht verlangst du danach, dass Gott endlich mit Macht und Herrlichkeit auftritt. So, dass du es klar und unmissverständlich mit den eigenen Augen sehen kannst. Aber noch werden wir uns gedulden müssen.
Denn genau wie der Esel keinen einfachen Menschen in Jerusalem hineinträgt, sondern eben den Sohn Gottes selbst – genau so ist das Wasser in der Taufe nicht einfach nur schlichtes Wasser, das Wort nicht einfaches Menschenwort, der Zuspruch der Vergebung nicht hohles Gerede und Brot und Wein nicht bloß das, wonach es aussieht. Nein, in diesen Mitteln kommt Gott selbst zu uns und spricht uns Leben und Seligkeit zu! Auch und gerade da, wo wir es am meisten nötig haben! Gerade da, wo wir vor Fragen stehen, die wir jetzt noch nicht voll und ganz beantworten können.
Wisst ihr, was ich der Frau in der Kirche gestern gesagt habe? Ich habe ihr gesagt, dass Gott nicht gekommen ist, uns den Himmel auf Erden zu schaffen, sondern uns von dieser Erde in den Himmel zu holen. Sie schaut mich an, dieses Mal nicht anklagend, und sagt einfach: „Amen.“
Wo ist Gott? Genau dort, wo er versprochen hat, dass er sein wird. Auch wenn es überhaupt nicht danach aussieht.
Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Pastor Roland C. Johannes,
Februar 2021