Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe. Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt zu! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er’s ihm zu.
Liebe Gemeinde, liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Je höher der Rang, desto größer die Privilegien. Das ist schon im Tierreich der Fall. Ich durfte mal im Krüger-Nationalpark in Südafrika beobachten, wie eine Herde Löwen einen Bock gerissen hatte. Wohlgemerkt, die Weibchen haben das alles erledigt – das ist bei den Löwen so! Aber dann kamen die Männchen an und durften zuerst fressen. Erst als sie satt waren, kamen die anderen dran. Für die Letzten waren gerade mal noch Knochen und Haut übrig.
Bei uns Menschen ist es nicht anders. Je höher der Rang, desto größer die Privilegien. Man bekommt einen besseren Dienstwagen. Man darf in teureren Hotels übernachten. Da kann man sich schon mal über bestimme Regeln hinwegsetzen. Und wenn ich an den einen oder anderen Politiker denke (nicht nur in Südafrika), da darf man sich dann auch über einzelne Gesetze hinwegsetzten – alles wohl kein Problem!
So ist das in dieser Welt. Je höher der Rang, desto größer die Privilegien.
Doch heute morgen hören wir, dass es auch ganz anders gehen kann. Wir hören von einem, der für sich keine Privilegien in Anspruch genommen hat – auch wenn diese ihm voll und ganz zustünden. Wir hören von einem, der den Trend durchbrochen und sich völlig anders verhalten hat. Von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.
Johannes der Täufer ist damit fast überfordert. „Ich soll dich taufen? Nein nein, mein Lieber, das sollte andersherum sein! Mit Verlaub: was macht du eigentlich hier? Geschweige denn das bessere Hotelzimmer - du gehörst in den Himmel zur Rechten Hand Gottes! Auf den herrlichsten Platz überhaupt! Nicht hierher, in den Staub und Dreck Palästinas. Was machst du eigentlich?“
Aber Jesus sagt: „Lass es jetzt zu!“ Lass es jetzt zu. Und er steigt in diesen dreckigen Strom (der Erzählung nach ist der Jordan ja alles andere als eine saubere, blaue, reißende Flut, sondern eher ein kleiner, brauner Sumpf!). Und er lässt sich von Johannes taufen.
Ein Akt größter Solidarität. Ihr Lieben, Jesus lässt sich taufen zur Vergebung von Sünden, die er gar nicht begangen hat. Genau so wie er am Kreuz für Sünden sterben wird, die nicht seine waren. Der, der da getauft werden will, bedarf keiner Taufe zur Vergebung der Sünden – das sieht Johannes ganz richtig! Trotzdem zieht Jesus das durch. Er will keine Extrawurst. Keine Privilegien. Er verzichtet darauf. „Lass es jetzt zu.“
Ihr Lieben, wenn wir heute an die Taufe Jesu erinnert werden, dann ist das nicht einfach nur eine weitere Erzählung aus den Evangelien. Kein bloßer Bericht über ein weiteres Ereignis aus der Biographie unseres Herrn. Nein, es ist viel mehr! Es ist wie eine Zusammenfassung der gesamten Menschwerdung Jesu! Es ist eine Zusammenfassung dessen, warum Jesus überhaupt in die Welt gekommen ist: Die Sünde auf sich zu nehmen, und sie zu ersäufen, wie Luther das so schön sagt! Es ist eine Vorschau auf Golgatha, auf das, was noch kommen wird. Und, es ist eine Vorschau auf Ostern, auf die Auferstehung, auf den Sieg.
Ein Akt der allergrößten Solidarität mit uns armen, elenden und sündigen Menschen, die in der Hierarchie ganz weit unten sind.
Und das Ergebnis: Wir stehen nun ganz vorn! Wir dürfen zuerst ran, dürfen uns satt essen, dürfen Privilegien genießen, von denen wir nur träumen können. Bereits hier und jetzt in Wort und Sakrament. Und eines Tages vor dem Thron Gottes sowieso.
Martin Luther spricht an dieser Stelle vom sogenannten „fröhlichen Wechsel und Tausch.“ Ich zitiere:
Das, was Christus hat, gehört nun der gläubigen Seele, und das, was die Seele hat, wird Christus zu eigen. Einerseits hat Christus alle Güter und Seligkeit, die gehören jetzt der Seele. Andererseits hat die Seele alle Fehler und Sünden an sich, die werden Christus zu eigen.
Mit anderen Worten: Wir bekommen die Privilegien, die Christus zustehen, geschenkt, sodass wir ganz oben, ganz weit vorne sind. Und er nimmt dafür auf sich, ganz unten, ganz hinten zu sein. Dort, wo nur noch Haut und Knochen übrigbleiben. So, wie wir es zu Weinachten singen: „Er wird ein Knecht und ich ein Herr, das mag ein Wechsel sein!“
Freuen wir uns heute darüber, dass das so geschehen ist. Dass Jesus das so wollte. Dass er das auf sich genommen hat. Dass Johannes das zugelassen hat. Dass wir daran teilhaben dürfen.
Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. AMEN.
Pastor Roland C. Johannes,
Januar 2021