Und des HERRN Wort geschah zu mir: Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.
Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Kennt ihr das Gefühl, für eine Aufgabe oder Herausforderung gänzlich ungeeignet zu sein? Zu jung, zu unerfahren, einfach unfähig? Das Gefühl, dass man das bestimmt nicht schaffen wird?
Jeremia sagt: „Ich bin zu jung.“ Gott hatte zu ihm gesagt: „Du sollst mein Prophet sein!“ Das ist tatsächlich keine ganz kleine Aufgabe! Aber Jeremia fühlte sich - trotz der Tatsache, dass Gott selbst ihm diesen Auftrag zuspricht - für so ein großes Amt zu jung. Er wollte kein Prophet werden. Er hielt sich für ungeeignet.
Das war übrigens auch bei anderen Propheten so. Als Gott Mose berief, da sagte Mose: Nein, ich kann nicht gut reden! Und als Gott Jona berief, da lief Jona einfach weg. Trotzdem sorgte Gott dafür, dass alle drei Propheten wurden: Mose, Jona und eben auch Jeremia.
Man könnte sagen, dass Gott in seinem Reich eine alternativlose Personalpolitik betreibt; er lässt sich da nicht hineinreden. Dem Jeremia hat er sogar Einblick in seine Personalpolitik gegeben. Er hat ihn berufen mit den Worten (wir haben es soeben gehört): „Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleib bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.“
Noch bevor Jeremia gezeugt wurde, noch bevor er als Embryo im Bauch seiner Mutter heranwuchs, kannte Gott bereits seinen gesamten Lebenslauf! Und er kannte diesen Lebenslauf nicht nur, sondern er gestaltete ihn aktiv: Ein Prophet sollte Jeremia werden – ein Mann, der dem Volk Israel und anderen Völkern Gottes Botschaft bringt, in Gesetz und Evangelium.
Liebe Brüder und Schwestern, wir alle haben unsern Platz in Gottes Personalpolitik. Zwar hat noch niemand von uns direkt Gottes Stimme gehört – davon gehe ich jetzt mal aus. Die meisten sind auch nicht berufen, Propheten (oder eben Pastoren) zu werden. Und doch kennt Gott jeden Lebensweg. Und er kennt ihn nicht nur, sondern er will ihn auch gestalten. Ob dein Beruf (da haben wir es – Beruf hat auch was mit Berufung zu tun!), ob dieser Beruf nun Pastor, Lehrer, Ingenieur, Handwerker, Jurist, Beamter, ja Vater oder Mutter sein heißt…
Klar, nicht immer bekommen wir diese Vorstellungen Gottes so klar mitgeteilt wie hier bei Jeremia. Aber dennoch: Gott hat bestimmte Vorstellungen davon, wie wir leben sollen – im Beruf, in der Gesellschaft, in der Familie und in der Kirchengemeinde. Daher können und sollen wir nicht sagen: „Ich bin zu jung!“ Oder: „Ich bin zu alt!“ Oder: „Das kann ich nicht!“ Oder gar: „Das will ich nicht!“ Gott macht keine Fehler in seiner Personalpolitik! Wir tun gut daran, uns seinem Willen unterzuordnen – egal, wie unsere Aufgabe aussehen mag.
Vielleicht stoßen wir uns aber auch an diesem „Du sollst.“ Wir Menschen haben es bekanntlich nicht gern, wenn man zu uns sagt: „Du sollst.“ Wir mögen gern selbst bestimmen. Mögen gern selbst entscheiden, was wir tun und lassen. Und da liegt uns ein „Du sollst“ – selbst wenn es von Gott kommt – eher quer im Magen.
Dabei sagt Gott in der Bibel immer und immer wieder zu uns: „Du sollst!“. So fangen alle Gebote an: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!“, „Du sollst den Namen des Herrn nicht missbrauchen!“, „Du sollst den Feiertag heiligen!“, „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!“, „Du sollst nicht töten!“, „Du sollst nicht ehebrechen!“, „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden!“, „Du sollst ich stehlen!“, „Du sollst nicht begehren!“…. Ausreden lässt Gott nicht gelten; wir sollen so leben, wie er es von uns erwartet. Sein Wille ist gut und richtig. Und wenn er dann noch einen besonderen persönlichen Auftrag hat wie hier bei Jeremia, dann gilt ebenfalls das „Du sollst!“.
Aber, ihr Lieben, es bleibt nicht dabei. Es bleibt nicht beim einfachen „Du sollst!“ Gott sagt nicht: Nun mach mal – und sieh zu, dass du das hinbekommst! Nein, zu diesen harten und herausfordernden Worten „Du sollst“ kommt immer auch das hier: „Fürchte dich nicht!“ Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR.
Gott macht Jeremia Mut. Er lässt ihn mit seiner großen Aufgabe nicht allein. Genauso gut meint Gott es mit uns allen. Wenn uns sein Wille für unser Leben zu schwer erscheint, dann sagt er: „Fürchte dich nicht!“ Er sagt es vor allem durch seinen Sohn Jesus Christus. Bei Jesu Geburt und bei Jesu Auferstehung haben Engel wiederholt so gesprochen: „Fürchtet euch nicht!“ Und Jesus selbst hat seine Jünger auch so angeredet.
Warum brauchen wir uns nicht zu fürchten? Aus demselben Grund, warum sich Jeremia damals nicht zu fürchten brauchte. Gott sagte ihm: „Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir und will dich erretten.“ Gott ist immer bei uns. Wir sind nicht allein; er lässt uns niemals im Stich – das haben wir in den letzten Wochen wiederholt gehört! Es erscheint mir so, als ob Gott uns das in diesen schweren Zeiten besonders vor Augen halten will: Fürchte dich nicht! Immer wieder: Fürchte dich nicht!
Denn: Er errettet uns. Er erlöst uns von allem Übel. Ja, eigentlich hat er uns bereits vor dem Schlimmsten errettet: vor der Macht der Sünde und des Todes. Er hat es getan durch seinen Retter Jesus Christus. Den hat er, wie auch Jeremia, schon lange vorher ausersehen zu diesem Amt. Gottes Personalpolitik hat immer einen langen Atem. An den Retter Jesus Christus hat Gott sogar schon gedacht, als die Welt überhaupt noch nicht geschaffen war. Der Apostel Paulus schreibt das im Epheserbrief: „In ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war“ (Eph. 1,4).
Nach diesem „Du sollst!“ und diesem „Fürchte dich nicht!“ war Jeremia bereit, Gottes Bote zu werden. Nun war er gut vorbereitet darauf. Und er hat diesen Dienst viele Jahre lang ausgeübt, bis an sein Lebensende. In den einleitenden Versen seines Buches erfahren wir, dass er zur Zeit des Königs Josia angefangen und dann bis in die Zeit des Königs Zedekia hinein gewirkt hat – also etwa 50 Jahre lang! Und die 52 Kapitel des Jeremiabuchs geben Zeugnis davon, dass es tatsächlich harte Jahre waren. Gott hat Jeremia auch im Privatleben sehr viele Leiden und Entbehrungen zugemutet. Jeremia hatte es zeitweise so schwer, dass er fast zerbrochen wäre. Aber immer wieder richtete Gott ihn auf und tröstete ihn – „Fürchte dich nicht!“
Als ich im Jahr 2013 als blutjunger Theologe in meiner Vikariatsgemeinde ankam, wurde im allerersten Gottesdienst dieser Text aus Jeremia 1 verlesen – es war der 9. Sonntag nach Trinitatis. Ich habe es nie vergessen. Immer und immer wieder tröstet mich bei allem „Du sollst!“ dieses „Fürchte dich nicht!“
Lieber Bruder, liebe Schwester, auch dir wird heute morgen dieses zugesprochen. Egal wie dein Beruf, egal wie deine Berufung aussehen mag. Egal, vor welchen Herausforderungen du stehst: „Fürchte dich nicht!“
Amen.
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Pastor Roland C. Johannes,
August 2020