Ihr Lieben,
Beten ist wie Blumengießen. Eine regelmäßige, notwendige Tätigkeit. Wer die Blumen oder Pflanzen im Haus, auf dem Balkon oder im Garten nicht ordentlich gießt, der kann beobachten, wie erst die Blätter trocken werden und nach und nach vertrocknen und wenn man zu lange wartet, dann ist auch bei dem Rest nichts mehr zu retten.
Mit dem Beten ist es in etwa so wie mit dem Blumengießen. Wer betet, der ist verwurzelt bei Gott. Und alles, was Wurzeln hat, braucht regelmäßig Wasser zum Leben. Beim Beten geben wir unserer verwurzelten Beziehung zu Gott das dringend notwendige Wasser, damit sie lebendig bleibt. Beten ist wie Blumengießen und ein Beziehungsgeschehen, es ist richtiggehende Beziehungspflege.
Für fast alles im Leben gibt es Ratgeber, die einen darauf hinweisen, dass es einige Dinge gibt, auf die man achtgeben muss. Beim Blumengießen ist vor allem das richtige Maß das A und O. Wenn man zum Beispiel zu viel Wasser verwendet, dann schadet es den Pflanzen und daran können sie sterben. Jesus sagt über das Beten, dass man darauf achtgeben soll, wie man betet. So sollen wir uns z.B. einen Ort suchen, an dem wir genügend Ruhe haben, um Gott zu begegnen und ins Gebet einzutreten und denn es geht um ihn und um uns.
Außerdem sagt Jesus, dass wir nicht einfach so plappern sollen, wie die Heiden und damit meint er, dass es nicht auf viele Worte ankommt, denn Gott weiß ja schon, was wir brauchen, bevor wir etwas sagen.
Das hinterlässt den Eindruck, als ob man bloß nicht frei beten sollte oder ob das schlecht wäre, aber das ist nicht der Punkt. Im freien Gebet ist das nur so, dass ich Gott vor allem mit meinen Themen komme und immer wieder Gefahr laufe nur bei mir zu sein. Ich kreise einfach ganz natürlich um mich selbst und neige dazu die Dimension des Gebets aus dem Blick zu verlieren, die eben auch und vor allem wichtig ist: Gottes Wille.
Wie das gut geht mit dem Beten, das zeigt Jesus im Vaterunser und daran können wir viel für unser freies Beten lernen. Das Vaterunser ist eine gute Hilfe und Übung auf Gott zu schauen, mich mit meinen Dingen in seine Hände zu legen und mich mit meinem Leben seinem Willen unterzuordnen.
Lasst uns einmal in kleinen Schritten das Vaterunser durchgehen, um einen kleinen Teil des ganzen Reichtums zu entdecken, den dieses Gebet beinhaltet. Dabei kann ich auch nur die Reichtümer anstoßen, denn jedes einzelne Teil könnte Predigtreihen füllen. Zunächst die Anrede:
Unser Vater im Himmel! So vertraut hat Jesus mit Gott geredet, dass er ihn Abba, Papa, genannt hat und das dürfen wir auch tun. Wenn man’s genau nimmt, ist es fast umwerfend, dass wir den großen, allmächtigen Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, einfach Vater nennen können. Und er hat uns ja zu seinen Kindern gemacht in unserer Taufe und so wie die Kinder zu ihrem Vater kommen, so treten wir nun vor ihn mit aller Hoffnung und Zuversicht im Herzen.
Dein Name werde geheiligt. Uns ist im Leben so manches heilig. Und damit drücken wir den Wert einer Sache oder eines Menschen für uns aus. Im Kleinen Katechismus habe ich von Martin Luther Wesentliches fürs Beten gelernt. Da schreibt er hierzu: „Gottes Name ist zwar an sich selbst heilig; aber wir bitten in diesem Gebet, dass er auch bei uns heilig werde.“ Ja, nicht wir verändern Gott, er ist und bleibt heilig, sondern bitten ihn, dass er uns und unser Herz verändert. Nämlich, dass er uns heilig wird und bleibt. Nichts und niemand anderes soll Herr sein in unserem Leben und über uns bestimmen. Nicht das Smartphone, nicht das Geld, kein Politiker, kein Mensch und auch der Teufel nicht. Gott macht uns davon frei, indem er an diese Stelle tritt.
Dein Reich komme. Gottes Reich kommt natürlich auch ohne unser Beten und Zutun hinein in diese Welt. Sichtbar geworden ist das Reich Gottes in seinem Sohn Jesus Christus, durch ihn ist das Himmelreich bereits angebrochen, davon erzählt er selbst. Und überall dort, wo Gott seine Gegenwart schenkt, da kommt es auch heute dazu, dass das Himmelreich in diese Welt hineinragt und die Welt und Menschen in ihr verändert. Wenn wir also darum bitten, dass Gottes Reich kommt, dann bitten wir Gott darum, dass sein Himmelreich auch bei uns in unserem Leben Raum nimmt und unser Leben so verändert, dass er ausräumt, was einem Leben in diesem Reich im Wege steht. Dass er uns also unsere Sünde vergibt, sodass wir in seiner Gegenwart leben.
Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Es ist bereits die dritte Bitte im Vaterunser und noch immer geht es nicht um unsere Bedürfnisse. Zum dritten Mal „Dein“ und zum dritten Mal geschieht das auch „ohne unser Gebet“, wie Luther im Katechismus formuliert. Gottes Wille soll auch bei uns in unserem Leben geschehen und unsere Haltung verändern. Manche sagen, dieses ist die schwerste Bitte, denn es widerstrebt uns, dass nicht unser Wille Wirklichkeit wird. Wir haben so unsere Wünsche und Vorstellungen, aber wenn sie nicht mit denen Gottes übereinstimmen, dann kann es schonmal ungemütlich werden.
Darum ist es durchaus wichtig, wie Jesus im Garten Gethsemane es vor seiner Verhaftung getan hat, Gott zu sagen, was unser Wille ist, aber zugleich auch darum zu wissen, dass es Gottes Wille ist, der der bessere, weisere, weitsichtigere ist für unser Leben, auch wenn wir mit unserem Verstand nicht dahinterkommen, was das vielleicht gerade soll, was um uns und in uns geschieht.
Unser tägliches Brot gib uns heute. Nun geht es direkt um uns. Aber: Wem von uns fehlt eigentlich das tägliche Brot, sodass wir ernsthaft darum bitten? Wir erleben doch vielmehr, dass wir alles zum Leben Notwendige täglich zur Verfügung haben. Und das ist nämlich mit dem täglichen Brot gemeint, das zum Leben Notwendige. Essen und Trinken, ein Auskommen mit dem Einkommen, liebevolle Kinder, Partner, Freunde, gute Nachbarn, eine gute Regierung, Frieden. Es geht nicht darum, dass wir vielleicht doch noch die gebuchten Urlaubsreise durchführen oder uns ein noch teureres Auto leisten können, das gehört nicht mehr zum täglichen Brot.
Wichtig ist aber auch hier, dass wir mit der Bitte um das Notwendige unser Bewusstsein schärfen, dass wir das in aller Regel bereits haben und dafür dankbar werden, dass das so ist.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Wir leben in einer Gesellschaft, von der oft gesagt wird, dass sie erbarmungslos ist. Ohne Gnade werden Fehler verfolgt, und Menschen kritisch beäugt, die sich gerade scheinbar oder offensichtlich falsch verhalten. Das passiert, obwohl wir wissen, dass keiner leben kann, ohne an anderen, an sich und an Gott schuldig zu werden. Wir sind alle angewiesen darauf, dass wir Vergebung erfahren und lernen, zu vergeben. Hier geht es um Befreiung von Schuld in zweierlei Hinsicht. Es geht nicht um einen Deal, einen Handel, sondern: Zum einen, dass Gott uns durch Vergebung von unserer Schuld befreit und zum andern, dass er uns dann dabei hilft, uns davon zu befreien, wo andere an uns schuldig geworden sind, sodass wir vergeben können.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Versuchungen sind ja nichts Harmloses, als ginge es dabei nur um Schokolade. Was Menschen heute in Versuchung führt, ist vor allem die Macht des Geldes. Wenn Unternehmen die Natur oder ihre Angestellten hemmungslos ausbeuten und unnötiges Leid von Menschen und Tieren in Kauf nehmen, um die Gewinne zu vergrößern, hat das etwas mit Versuchung zu tun.
Im kleinen Katechismus betont Luther, dass Gott selbst niemanden versucht. Vielmehr geht es darum, dass Gott uns durch diese Versuchungen von außen hindurchführe und behüte und bewahre vor dem Schwachwerden gegen die weltlichen Mächte und Gewalten, die uns mit allerlei kreativen Versuchen letztlich von Gott wegziehen wollen. Im Wissen darum, welche Macht das Böse haben kann und dass wir aus eigener Kraft vielerlei Versuchungen nicht wiederstehen können, bitten wir um Gottes Führung hindurch und dann um seine Erlösung von alledem insbesondere am Ende unseres irdischen Lebens.
Drei Bitten mit direktem Blick auf Gott aber der bitte um Resonanz dessen in unserem Leben, dein Name, dein Reich, dein Wille und vier Bitten, in denen es um uns und unsere Welt geht: Unser Brot, unsere Schuld, unsere Versuchung, unser Böses. Mit dem Abschluss wird der Blick wieder auf Gott gelenkt, dem wir alles verdanken: dein Reich, deine Kraft, deine Herrlichkeit.
Beten ist wie Blumengießen und wer sich im Gebet an der fachkundigen Anleitung unseres Herrn orientiert, lernt das richtige Maß, durch welches unser in Gott verwurzeltes Leben wächst, gedeiht, kraftvoll wird und Früchte trägt. AMEN.
Pastor Florian Reinecke,
Mai 2020