Als Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.
Ihr Lieben,
einen Jahresverdienst für einen einfachen Arbeiter, 300 Silbergroschen, heute so zwischen 20 und 30T Euro, so viel war dieses Gefäß voll Nardenöl wert. Wie viel Essen und Kleidung hätte man damit für die Armen kaufen können? Und diese Frau hat es auf einmal verbraucht. Was für eine Verschwendung!
Jesus befindet sich in Betanien im Haus von Simon und saß dort zu Tisch. Simon war ein Pharisäer, den Jesus von seinem Aussatz befreit hat. Aussatz war die Krankheit, die einen wegen ihrer Ansteckung isolierte. Eine Ahnung davon kriegen wir dieser Tage, wenn wir einander auf Abstand aus dem Weg gehen. Jesus war gerade wieder einmal unter Menschen, die am Rand der Gesellschaft dahinleben.
Und diese offenbar reiche Frau mit dem überteuren Öl kommt da hin. Mitten in die Tischgemeinschaft platzt sie und ohne ein Wort zu sagen, zerbricht sie das Gefäß mit dem Öl und goss es auf den Kopf von Jesus. Das ganze unverfälschte, kostbare Nardenöl. Ein Öl, das sonst nur an Königshöfen verwendet wird. Diejenigen, die dabei sind, werden Zeugen einer maßlosen Verschwendung.
Nachdem die Jünger sich gedanklich sortiert haben bricht es auch aus ihnen heraus. Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben.
Unter Abwägung von Kosten und Nutzen haben die Jünger natürlich Recht. Und ihr Antrieb, mit dem Geld etwas Gutes zu tun für die Armen und Bedürftigen, es also diakonisch einzusetzen, ist ja ein Urchristlicher. Jesus selbst wendet sich so oft denen zu, die solche Formen der Unterstützung so dringend benötigen. Diese Rufe, man muss doch die Not bekämpfen, lasst uns etwas tun, mal anpacken und helfen, dieser Ruf gehört zum Wesen der Kirche und des Glaubens. Und ganz in diesem Sinn reagiert Jesus ja auch auf die Jünger: Ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun.
Ja es ist wichtig, ihnen Gutes zu tun. Es darf und soll aber auch mal etwas anderes dran sein! Jesus lässt zu, dass diese Frau tut, was sie tut und damit die Armen in ihrer Not übersieht. Sie hat nur Augen für ihn, hat ihr Herz verloren und salbt Jesus mit ihrem Luxus Öl.
Es ist völlig unvernünftig. Sie gibt alles, was sie hat, überhört die Stimme der Vernunft und folgt der Stimme ihres Herzens. Sie ehrt Jesus und bezeugt mit ihrer Tat den Wert, den er für sie hat. Eine überbordende Liebesgeschichte wird hier gelebt und keiner, der anderen Anwesenden versteht, was hier vor sich geht, obwohl sie Zeugen werden von diesem beeindruckenden Liebesbeweis und Glaubenszeugnis der Namenlosen.
Mit der Liebestat dieser Frau beginnt im Markusevangelium der Bericht von Jesu Leiden und Sterben. Die nächsten Berichte sind die von Verrat, Verleugnung und von viel Gewalt. Mit der Salbung, die die Frau hier vollzieht, hat sie Jesus einen Dienst erwiesen, für den die Frauen am Ostermorgen zu spät kommen. Sie hat die Salbung vorgenommen, die üblicherweise den Toten galt. Das wusste sie nicht, als sie von Liebe erfüllt ihren Geliebten salbte, aber Jesus stellt den Zusammenhang her.
Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. Diese Salbung ist aber noch mehr als nur dieses für damalige Zeiten übliche Ritual der Totensalbung und die Frau erweist sich damit als eine Prophetin.
Sie bezeugt, dass sie mehr begriffen hat als die anderen, dass sie mehr sieht als alle im Raum. Ihre Liebe zu Jesus verleitet sie zu einem von außen betrachtet verrückten Tun an dem, der das Größte in ihrem Leben ist.
Mit dieser Tat verkündigt sie Jesus als den, der er ist: der erwartete Messias. Meschiach - aus dem Hebräischen übersetzt bedeutet das: der ‚Gesalbte‘. So wie hier Christus wurden im Alten Testament die Priester, die Propheten und später auch die Könige Saul, David und Salomo gesalbt.
Wie bei seinem königlichen Einzug in Jerusalem wenige Tage vorher setzt Jesus seine Deutung des Königsamtes entgegen. Nach Jerusalem war er schon nicht hoch zu Ross wie ein siegreicher Feldherr in die Stadt eingezogen, sondern auf einem Esel. Und auch jetzt ruft er nach dieser Salbung nicht zum Befreiungskampf gegen die Römer auf, sondern lässt seine Leute wissen, dass er in den Tod geht. Er sagt nicht mit den Jüngern: Was soll das? Warum verschwendest du etwas so Kostbares. Aber er sagt: Du hast einen gesalbt, der dem Tod geweiht ist. Es war ein letzter Liebesdienst.
Was hier vorausnehmend im Blick auf Jesu Begräbnis geschehen ist, erweist ihm die Ehre, die ihm gehört, aber es zeigt auch, dass die Königswürde Jesu nicht anders gewonnen wird als durchs Kreuz. Nicht Kosten-Nutzen-Berechnungen leiten Jesus auf seinem Weg, sondern die abgrundtiefe und bedingungslose Liebe zu seinen Menschen. Um uns zu retten, hat er alles, was er im Himmel hatte, und sein ganzes Leben für uns verschwendet. Selbst der Preis des Kreuzestodes war ihm nicht zu hoch.
Und die Frau hat den Jüngern und uns allen vieles voraus. Der Glaube lebt aus der Verbundenheit mit Gott. Die Frau überhört die Stimme der Vernunft, blickt auf ihren Gott, teilt seine Not, ist ganz mit ihm verbunden, lässt sich hinreißen zu einer verrückten Tat und ist dabei gänzlich frei von den Bewertungen der Menschen um sie herum. Damit ist sie wahrhaft frei für die Verbindung mit Jesus. Ihn lässt sie groß sein, ehrt ihn als den ewigen König, der es wert ist, gesalbt zu werden mit nahezu unbezahlbarem Öl. Lasst sie in Frieden, sagt Jesus zu den maulenden Jüngern.
Und wir? Wir feiern Gottesdienst, hier in der leeren Kirche gemeinsam mit euch zu Hause in Gemeinschaft. Wir beten ihn an, suchen seine Nähe, feiern die Liebe von und zu unserem Herrn und ehren Gott.
Wir leisten uns diesen geistlichen Luxus und lassen uns anstecken von der beispielhaften Hingabe einer Namenlosen Frau. Und wir lassen uns von der freudigen Annahme unseres Herrn Jesus Christus darauf ermutigen, selbst immer wieder seine Nähe und die Beziehung zu ihm zu suchen und zu finden. amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. AMEN.
Pastor Florian Reinecke, April 2020