Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn was da gesagt ist: »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
Und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.
Ihr Lieben,
was meint ihr: wie oft schauen wir am Tag wohl auf unsere Uhr? 10x, 20x oder 50x? Und dabei fragen wir uns, wie spät ist es eigentlich? Ist euch schon einmal aufgefallen, dass die Frage mit dem Wort „spät“ bezeichnend ist? Es sagt nämlich etwas aus über unsere Grundhaltung zum Thema Zeit und über unsere Lebenseinstellung. Wir leben unter einem gewissen Zeitdruck. Oft kommt ein ungutes Gefühl auf, dass wir vielleicht zu spät dran sein könnten. Wir werden erwartet. Auf der Arbeit, bei Terminen, Verabredungen, in der Schule, beim Arzt, zum Mittagessen. Und dann schauen wir auf die Uhr und fragen uns, wie spät ist es eigentlich?
Und dann gibt es in der Folge dieser Grundhaltung ja auch diese schönen Momente im Alltag. Dann nämlich, wenn wir feststellen: Ach ja, es ist ja noch gar nicht so spät. Ist ja noch Zeit und schon beginnt das Überlegen, wie wir diese Zeit, die ja jetzt unerwartet über ist, sinnvoll nutzbar machen. Schon erstaunlich, wie dieses Grundmuster der Effektivität, also die Zeit ja nicht zu sinnlos zu verplempern, unser Leben bestimmt. Das tut es so sehr, dass viele nicht einmal im Urlaub ruhig liegen bleiben können.
Die Black Friday oder Black Week-Angebote der vergangenen Tage haben sich diese Grundhaltung zunutze gemacht. Unser Eindruck wird damit verstärkt, dass es höchste Zeit ist, sich endlich um die passenden Weihnachtsgeschenke zu kümmern. Weihnachten ist aber noch 3 ½ Wochen hin. Erstmal ist jetzt Advent. Es ist Zeit der Vorbereitung und des Wartens, das sieht man auch an den lilanen Farben am Altar, hier an der Kanzel und an meiner Kleidung. Das ist die Farbe, die in der Passionszeit vor Ostern und an Buß- und Bettag auch zu sehen ist. Es soll eine Zeit sein, sich in aller Ruhe auf das einzustellen, was kommt. Zeit sich Zeit zu nehmen und sich zu besinnen.
Ihr Lieben, es ist nicht spät und erst recht nicht zu spät. Der Advent hat heute Morgen erst begonnen. Es ist noch früh, so wie es das Bibelwort sagt:
Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen.
Der Tag steht noch vor der Tür, man kann ihr erst erahnen, denn so langsam beginnt es zu dämmern. Das ist der Zustand in dem wir noch immer leben. Der Tag beginnt gerade erst.
Aber wie leben wir in der Regel? Wir leben so, als wäre es fünf vor zwölf, kurz vor Mitternacht. Zeit, höchstens noch das Allerwichtigste oder das Nötigste zu erledigen. Zeit, Prioritäten zu setzen und möglichst viel noch vom Leben mitzunehmen.
Das Herz beginnt schneller zu klopfen und auch der Atem beschleunigt sich spürbar. Ihr kennt das Gefühl, wenn sich die Hetze breit macht, weil man nichts mehr aufschieben, aber auch nichts mehr verpassen möchte. Wir wollen unseren täglichen Verpflichtungen genauso gut nachkommen, wie wir unsere Freizeit ausschöpfen und ohne Einschränkungen genießen wollen. Und immer möchte man es auch noch ein bisschen besser machen als beim letzten Mal. Auch so ein Irrsinn. Wachstum ist neben der Effektivität eine weitere Grundhaltung, die uns in Fleisch und Blut übergegangen ist. Immer noch ein bisschen besser, ein bisschen mehr, immer wieder was Neuer. Wir schrauben unsere Erwartungen höher und höher. Nicht nur die an uns selbst, auch die an andere und ans Leben im Allgemeinen und wundern uns dann, dass Stress aufkommt.
Paulus öffnet uns da auf heilsame Weise den Blick für eine ganz andere Grundhaltung und Lebenseinstellung. Eine, die geprägt ist von dem, was auf uns zukommt, von dem, was uns erwartet, dafür können wir ihm wirklich dankbar sein.
Das Beste daran ist, blicken auf denjenigen, der auf uns zu kommt. Denn ER ist es, Jesus Christus. Da gilt es still zu werden, hinzuhören und geduldig zu warten. So, wie das erste Licht am Tag beginnt die Dunkelheit der Nacht zu vertreiben, so erscheint Jesus Christus über unserem Leben, über der Nacht, in der wir uns bewegen. Und er will uns zu Menschen des Tages machen, zu solchen, die aus dem Leben, was er uns bereitstellt.
So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.
So schreibt Paulus und erklärt dann in den Zeilen danach, was er meint.
Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht; sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt.
Das ist nämlich das, was herauskommt, wenn wir so leben, als sei es dauerhaft fünf vor zwölf. Dann verfallen wir nämlich unseren innersten Trieben. Dann geschieht unter uns das, was wir in aller Regel zum Nachtleben rechnen: Fressen, Saufen, Unzucht und Ausschweifung. Das sind die unmittelbaren Folgen eines Lebens, als gäbe es keinen Morgen.
Wer Angst hat, er könnte das Schönste und Wichtigste verpassen, wer nicht mehr in der Lage ist, in Ruhe abzuwarten, was das Leben bringt, wer meint, er müsse so schnell und ausführlich wie möglich die angenehmen Seiten des Lebens auskosten, der gerät nicht nur in Stress und Hektik, sondern der wird auch gierig. Er nimmt, was er kriegen kann. Er probiert aus, was möglich ist und ist nicht mehr in der Lage zu verzichten. Und am Ende kann er sich auch nicht mehr beherrschen. Er wird zum Getriebenen seiner eigenen Triebe und Sehnsüchte und tut, was sie von ihm verlangen. Woher kommen denn sonst all die Süchte, mit denen wir uns heutzutage herumschlagen: Kaufsucht, Alkoholismus, Spielsucht, Geltungssuch, Sexsucht.
Und noch etwas geht den Bach runter, solange wir im Nachtleben hängen bleiben. Das ist die Nächstenliebe. Auch davon redet das Bibelwort.
Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt.
Das kann nicht gelingen, wenn wir mehr bei uns selbst sind als bei unserm Nächsten. Aber das Licht, das uns wie der erste Sonnenschein am Morgen in Christus entgegenscheint, das ändert unser Leben in seiner ganzen Grundhaltung und Ausrichtung. Es befreit uns aus den Klauen der Nacht. Es nimmt uns die Sorge um uns selbst und um unsere Zukunft. Es stellt unsere Füße auf weiten Raum, lehrt uns vertrauen und hoffen. Es verleiht uns Geduld, Gelassenheit und Zuversicht.
Das hört sich schön an, oder? Und ich glaube das ist es auch, wonach wir uns im tiefsten Inneren sehnen. Wir möchten frei sein von unsern Begierden und von dem Zeitdruck, der immer größer wird. Wir möchten wirklich so leben können, dass wir getrost und gelassen abwarten, wie Gott uns führt. Doch die Hoffnung darauf, dass das gelingt, wer hat die? Und wer kriegt das hin, dass wir von unserem alptraumhaften Schlaf aufwachen und im Licht des von Christus beschienenen Tag leben? Wie soll das gehen?
Es ist der Blick hin zu dem Licht, das aufkommt am frühen Morgen. So, wie wenn wir im Dunkeln wach werden und aus dem Fenster sehen und der Himmel die schönsten Farben annimmt. Rosa, violett, blau. Und sobald unsere Augen diese Schönheit entdeckt haben, können wir sie kaum noch abwenden.
Vom Licht leben wir, indem wir auf das Licht schauen und unsere Blicke, Gedanken und Hoffnungen auf ihn richten lassen, weil er unsere Augen anzieht. Und wir wissen eigentlich gut wie es geht.– Ein kurzes Gebet, bevor wir aus dem Bett steigen oder aus dem Haus gehen, in dem wir ihn um seinen Schutz und um seine Führung bitten, vielleicht auch noch darum, dass er uns vor Sünden bewahren möge. Das ist es schon. Das kann auch durch ein Vaterunser geschehen oder durch Luthers Morgensegen oder vielleicht auch durch einen Gesangbuchvers.
Ihr Lieben, wie wär’s? Wollen wir die vor uns liegende Adventszeit nicht wieder einmal dazu nutzen, uns solch ein Gebet und einen Blick in die Bibel zur regelmäßigen Angewohnheit zu machen? Ich bin mir sicher, dass wir dann schon bald spüren werden, wie das Licht des Tages, das uns in Jesus Christus entgegenkommt, unsere Grundhaltung und Ausrichtung im Leben verändern wird, weg vom Nachtleben, weg von fünf vor zwölf, hin zu „Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr“ so wie wir es jetzt singen. Dankbar bin ich Gott für dieses Licht, das in unser Leben scheint.
AMEN.